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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Pestizidvergiftungen bei Menschen

20.06.2017, PAN Germany Pestizid-Brief 2-2017, Dr. Wolfgang Bödeker

Tragische Vergiftungsfälle können helfen, die Gefahreneinstufung von Pestiziden und somit den Gesundheitsschutz zu verbessern.

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Pestizide gelten als besonders bedenklich, wenn sie eine hohe akute Giftigkeit (Toxizität) aufweisen. Das ist dann der Fall, wenn bereits eine geringe Menge ausreicht, um schwere oder tödliche Vergiftungen auszulösen. Die akute Toxizität wird daher standardmäßig in der Gefahren- und Risikoabschätzung von Pestiziden verwendet. Als Maßstab gilt hierfür in der Regel die Einstufung durch die Weltgesundheitsorganisation WHO, die auf Versuchen bei Ratten basiert. Es wird dann angenommen, dass je höher die akute Toxizität in den Tierversuchen war, desto giftiger der Stoff auch für Menschen ist. Allerdings bedeutet es nicht, dass nur solche Mittel, die hochtoxische Wirkstoffe enthalten, zu schweren Vergiftungen bei Menschen führen können. Studien haben bereits gezeigt, dass es deutliche Abweichungen zwischen den Einstufungen nach WHO und der Schwere der Vergiftungen bei Menschen geben kann. Um eine Unterschätzung der akuten Giftigkeit zu vermeiden, wird deshalb gefordert, dass Daten über Vergiftungen von Menschen bei der Gefahrenabschätzung von Pestiziden mehr berücksichtigt werden sollten. Diese Möglichkeit sieht das Regelwerk der WHO auch grundsätzlich vor (1), ohne dass davon nennenswert Gebrauch gemacht würde.

Um Vergiftungen von Menschen systematisch berücksichtigen zu können, müssen verwertbare Daten zunächst für eine größere Anzahl von Pestiziden vorliegen. Zudem gelten Vergiftungen als individuelle Fälle, bei denen die Schwere der Vergiftung nicht nur von dem Giftstoff, sondern auch von den Umständen der Vergiftung und dem schnellen Beginn von Behandlungsmaßnahmen abhängt. In einer systematischen Literaturstudie (2) wurde jetzt untersucht, für welche Pestizide Daten über die Letalität - also dem Anteil der tödlichen Vergiftungen an allen Vergiftungen - veröffentlicht wurden und welche Rolle die Vergiftungsumstände spielen.

Es zeigte sich, dass in der wissenschaftlichen Literatur seit 1990 über die Letalität von 68 Wirkstoffen in Pestiziden berichtet wurde, die Studien stammen aus insgesamt 20 Ländern. Am häufigsten wurde über Glyphosat und Paraquat berichtet, während fast zwei Drittel der anderen Pestizide nur jeweils in einer Studie vorkommen. Für alle Pestizide ergab sich im Durchschnitt eine Letalität von 15 %, die höchsten Werte zeigten sich für Propamocarb, Parathion und Paraquat.

Dabei ist es durchaus nicht so, dass die Pestizide mit der höchsten Letalität auch die höchste akute Toxizitäts-Einstufung nach der WHO erhalten. Von den 12 Pestiziden mit der bei Menschen höchsten Letalität (Vergiftungen verliefen in mehr als 20% der Fälle tödlich) sind nur 4 Pestizide auch als "extrem" oder "hochgefährlich" nach WHO eingestuft. Dagegen gelten hiernach 5 als nur "moderat gefährlich" und 2 sogar als "unlikely to present acute hazard".

Bei den Pestiziden, die in mehreren Studien vorkamen, konnte untersucht werden, ob die Letalität eher die Folge der individuellen Vergiftungsfälle ist und nicht der charakteristischen Toxizität des Wirkstoffes. Dann wäre nämlich eine große Variabilität der Letalität zu erwarten. Überraschenderweise schwankte aber die beobachtete Letalität der Pestizide nur vergleichsweise gering. Die akute Toxizität für den Menschen scheint offensichtlich ziemlich unabhängig von den Umständen der Vergiftungen zu sein.

Es lässt sich schlussfolgern, dass Gefahrenbewertungen von Pestiziden systematisch Erkenntnisse aus realen Vergiftungsfällen einbeziehen sollten. Solche Erkenntnisse liegen bereits aus wissenschaftlichen Studien vor, betreffen aber nur einen Teil der praxisrelevanten Pestizide. Es ist davon auszugehen, dass viele Daten nicht veröffentlicht sind, weil die Vergiftungen im Routinebetrieb der Krankenhäuser behandelt werden, und die derzeitigen Dokumentationssysteme eine verlässliche Erfassung nicht vorsehen. Es ist notwendig vorhandene Vergiftungsdaten standardisiert zu erheben und transparent zu dokumentieren. Dies ist ohne großen Aufwand realisierbar.(3)

Informationen über Vergiftungsfälle sind zudem für die Identifizierung von hochgefährlichen Pestiziden für die Umsetzung etwa der Rotterdam Konvention* unverzichtbar. Um den Prozess zu unterstützen hat PAN UK ein Werkzeug entwickelt, dass Länder bei der Identifizierung hochgefährlicher Pestizidformulierungen unterstützt, damit diese zukünftig strenger reguliert werden.(4) In Georgien wurde das Verfahren bereits umgesetzt. Hier wurden Lambda-Cyhalothrin-Verbindungen als besonders vergiftungsrelevant identifiziert und an die Rotterdam Konvention gemeldet. Dieses Verfahren ersetzt keine systematische Dokumentation, ist aber ein ergänzendes Werkzeug zur Prävention von Pestizidvergiftungen.

(Dr. Wolfgang Bödeker)

Die Verantwortung für den Inhalt des Artikels liegt bei dem Autor.

Anmerkungen:

*    Rotterdam Convention on the Prior Informed Consent Procedure for Certain Hazardous Chemicals and Pesticides in International Trade (PIC Convention)


Quellen:

(1)    WHO Recommended Classification of Pesticides by Hazard and Guideline to classification. http://www.who.int/ipcs/publications/pesticides_hazard/en/
(2)    S. Moebus & Boedeker, W. (2017): Case fatality as an indicator for the human toxicity of pesticides - a systematic review on the availability and variability of severity indicators of pesticide poisoning. http://biorxiv.org/content/early/2017/04/12/126615
(3)    Behördliche Dokumentation der Pestizidvergiftungen unterschätzt die tatsächliche Situation. PAN Germany Pestizid-Brief 1-2016 http://www.pan-germany.org/deu/~news-1397.html
(4)    PAN UK "Tool-Kit to monitor and report incidents of pesticide poisonings caused by severely hazardous pesticide formulation" http://www.pan-uk.org/shpf-toolkit/

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