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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Der Tiger braucht Zähne: Zur Umsetzung der Pestizid-Rahmenrichtlinie

30.06.2009, PAN Germany, Susan Haffmans

Aus: PAN Germany Pestizid-Brief Mai/Juni 2009

Voraussichtlich Ende Juli tritt die neue EU Rahmenrichtlinie für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden in Kraft. Derzeit beraten auf EU-Ebene und in den Mitgliedsstaaten Regierungsvertreter, Verbandsvertreter und andere Experten über die Ausgestaltung und die Umsetzung der Rahmenrichtlinie in nationales Recht.

Am 4. Juni war PAN auf Einladung der EU-Kommission auf dem ersten Expertentreffen in Brüssel vertreten; vom 23. bis 25. Juni wird PAN in Potsdam auf einem Fachworkshop des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) Forderungen der Naturschutz- und Umweltverbände zur Novellierung des derzeitigen Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pestiziden vorbringen.

Während PAN in den vergangenen rund sieben Jahren erfolgreich die Ausgestaltung der neuen EU Pestizidpolitik begleitet hat, geht es nun in die nationale Umsetzung. Bei den derzeitigen Beratungen geht es um Details der Ausgestaltung. Die Mitgliedsstaaten müssen regeln, wie zukünftig die durch die Rahmenrichtlinie (RRL) festgelegten Bereiche konkret geregelt sein werden. Welche Anforderungen werden zukünftig an Fort- und Weiterbildung (Stichwort Sachkunde) gestellt? Welchen Auflagen unterliegt zukünftig der Verkauf von Pestiziden? Wie erfolgt die Informationsbereitstellung für die Öffentlichkeit und die Kontrolle von Spritzgeräten? Wird es Ausnahmegenehmigungen vom Verbot des Sprühens aus der Luft geben und welche Kriterien werden für deren Erteilung herangezogen? Welche Maßnahmen sollen zukünftig sensible Gebiete besser vor Pestiziden schützen? Die Regelungen der Pestizidanwendungen müssen ein breites Spektrum abdecken.

Im Zentrum der Diskussion stehen die Ausgestaltung Nationaler Aktionspläne zur nachhaltigen Anwendung von Pestiziden (NAP) (Artikel 4 der RRL) und die verpflichtende Einführung des integrierten Pflanzenschutzes (IPM) in die Landwirtschaft ab 2014 (Artikel 14 der RRL). So ging es auf dem "First Expert Meeting of the Pesticides Thematic Strategy" am 4. Juni in Brüssel vorwiegend um die Frage der Festsetzung von IPM Standards und um die Ausgestaltung der Nationalen Aktionspläne. Vorgestellt wurde u. a. die von der EU Kommission (DG Environment) in Auftrag gegebene und von dem deutschen Consultingunternehmen BiPRO verfasste IMP-Studie1. Zusammenfassend lässt sich festhalten dass die formulierten acht generellen IPM Prinzipien im Anhang III der RRL als ausreichend angesehen werden, die weitere Ausgestaltung und Kontrolle obliegt den Mitgliedstaaten. Nach Auffassung von PAN, muss "integrierter Pflanzenschutz" viel früher und vor allem konkreter ansetzten. PAN nannte in diesem Zusammenhang die verbindliche Formulierung vorsorgender pflanzenbaulicher Maßnahmen, wie Mindestanzahl von Fruchtfolgegliedern und die Wahl standortgerechter Sorten. Aus Sicht von PAN ist eine erfolgreiche Implementierung im Sinne von Pestizid- und Risikoreduktion ohne Einführung, Training und Kontrolle kultur- und sektorenspezifischer Verfahren im IPM nicht zu erwarten.2

Während in einigen Mitgliedsstaaten mit in Kraft treten der neuen RRL zum ersten Mal in der Landesgeschichte ein Nationaler Aktionsplan aufgestellt werden muss, haben Länder wie Dänemark, Schweden und die Niederlande seit den 1980er Jahren politische Programme zur Pestizidreduktion. Das Beispiel Dänemark zeigt, welchen Erfolg ehrgeizige Pestizid-Reduktionsprogramme haben können: Dänemarks Landwirte wenden heute nur noch halb so viel Pestizide an wie noch 1985, das dänische Gemüse ist sechsfach weniger mit Pestizidrückständen belastet als entsprechende Importprodukte und auch die Wasserqualität hat sich wesentlich verbessert.3 In der nächsten geplanten Phase des dänischen NAP für den Zeitraum 2010-2015 sollen Pufferzonen (z.B. Uferrandstreifen) mit einer Fläche von insgesamt 50.000 ha entstehen und der Biolandbau auf 300.000 ha Agrarfläche ausgeweitet werden.

In den vergangenen Jahren sind andere Länder, darunter Frankreich, England und Deutschland nachgezogen und haben ihre eigenen Reduktionspläne aufgestellt. Das französische Programm "Ecophyto2018" von 2008 strebt eine Halbierung der Pflanzenschutzanwendung bis 2018 durch die Förderung alternativer Pflanzenschutzverfahren an. Zudem verbietet Frankreich 40 problematische Wirkstoffe bis 2010 unter der Voraussetzung, dass verfügbare Alternativen vorhanden sind. In Belgien sollen 50% der Pestizidrisiken bis 2010 bezogen auf das Berechnungsjahr 2001 reduziert werden, wobei auch der nicht-agrarische Bereich miteinbezogen wird.

Mit dem "Reduktionsprogramm chemischer Pflanzenschutz" legte Deutschland erstmals 2004 einen Maßnahmenkatalog vor, der von der jetzigen Regierung überarbeitet und im Vorgriff auf die zu erwartenden EU Regulierungen in "Nationaler Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln" umbenannt wurde.4 Diesen Nationalen Aktionsplan gilt es nun, vor dem Hintergrund der neuen EU Pestizidgesetzgebung, zu aktualisieren. Vom 23.-25. Juni 2009 findet der vom BMELV ausgerichtete "Workshop zur Umsetzung der EU Rahmenrichtlinie über einen Aktionsrahmen für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden" statt, an dem VertreterInnen von Behörden und Verbänden aus den Bereichen Landwirtschaft, Industrie, Handel, Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz teilnehmen. Einige Interessenvertreter, darunter der Bauernverband, der Industrieverband der Agrarwirtschaft (IVA), der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE), der Zentralverband Gartenbau (ZVG), die Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und PAN werden jeweils in einem Kurzstatement die Bedeutung des Nationalen Aktionsplans für ihren Bereich darlegen. Zur inhaltlichen Vorbereitung des Workshops wurden bereits alle Beteiligten aufgerufen, Fragen zu formulieren und den Fragenkatalog des BMELV zu beantworten.

In Abstimmung mit den anderen im NAP-Forum engagierten Verbänden NABU und Greenpeace, wird PAN die Bedeutung des NAP für den Natur- und Umweltschutz darlegen und Forderungen an einen geänderten Nationalen Aktionsplan stellen. In seiner Stellungnahme zum Fragenkatalog des BMELV hat sich PAN ausführlich zu einzelnen Aspekten des NAP geäußert.5 Zu den PAN-Forderungen zählen:

  • Die Aufnahme des quantitativen Ziels einer Reduktion der Anwendungsintensität, auf der Basis des allgemein akzeptierten Behandlungsindex, um 25 bis 30% in 5 Jahren
  • Die Reduktion von Rückstandshöchstmengen-Überschreitungen in Lebensmitteln (heimische und Importware) auf unter 1% in den kommenden 5 Jahren
  • Den Ausbau der biologischen Landwirtschaft auf 20% der landwirtschaftlichen Fläche bis 2020
  • Die Aufnahme von Gewässerschutzzielen, die sich an den Zielen der Wasserrahmenrichtlinie und ihren Tochterlegislativen orientieren (z. B. Einhaltung der Umweltqualitätsnormen)
  • Die Festschreibung maximaler Behandlungsindices für einzelne Boden-Klima-Regionen (Konkretisierung des "notwendigen Maßes")
  • Zum wirksamen Schutz der Biodiversität in der Agrarlandschaft ist Pflanzenschutz so zu gestalten, dass die direkten und indirekten Wirkungen des chemischen Pflanzenschutzes auf Nichtziel-Organismen und -Habitate (z.B. Feldvögel, Kleinsäuger, Insekten, Saumstrukturen) verringert werden. Ein mögliches Biodiversitätsziel ist die Stabilisierung von Vogelpopulationen (Vögel der Agrarlandschaften). Weitere Biodiversitätsziele sind zu entwickeln.

Der Erfolg der neuen europäischen Pestizidpolitik wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Sicher ist schon heute: Positive Entwicklungen im Sinne einer nachhaltigen Landwirtschaft sind nur zu erwarten, wenn das derzeitige Agrarsystem umgewandelt wird. Findet keine Diversifizierung des Anbaus statt, wird es keine Mindestanzahl für Fruchtfolgeglieder geben und bleibt zudem auch in Zukunft eine Konzentration auf wenige Intensivkulturen bestehen, werden wir auch mit verbindlichen und kulturspezifischen IPM-Standards den Schwund der Biodiversität sicher nicht aufhalten können.
(Susan Haffmans)

1 Die BiPRo Studie ist einzusehen unter http://ec.europa.eu/environment/ppps/pdf/pesticides_de.pdf
2 PAN Germany & NABU (2008): Anforderungen an das Reduktionsprogramm chemischer Pflanzenschutz. Gemeinsames Positionspapier des Pestizid Aktions-Netzwerks Deutschland e.V. und dem Naturschutzbund Deutschland e.V. vom 07.03.2008
3 PAN Europe (2007): Pesticides Use Reduction Strategies in Europe: Six Case Studies, Pesticides Action Networ Europe, 46 Seiten
4 BMELV (2008): Nationaler Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Referat 517, April 2008
5 PAN Germany (2009): PAN Germany Stellungnahme - Antworten von PAN Germany auf den Fragenkatalog des BMELV zur Umsetzung der Richtlinie für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden, Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland e.V., Hamburg, Juni 2009.

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