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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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EU-Pestizidgesetzgebung: Stand nach der 1. Lesung

01.01.2008, Susanne Smolka

Aus: PAN Germany Pestizid-Brief Januar/Februar 2008

Am 23. Oktober 2007 gab das EU-Parlament im Rahmen der Pestizidgesetzgebung ein deutliches Votum für einen starken vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutz ab. Die Kommissionsvorschläge zur Zulassung und Anwendung von Pestiziden gingen mit einer großen Anzahl von richtungsweisenden Änderungsvorschlägen durch die erste Lesung des Parlaments. Dennoch wurde an entscheidenden Stellen die Chance verpasst, diesen politischen Willen in Zielen und Zeitplänen zu konkretisieren.

PAN begrüßt die parteiübergreifende Position des EU-Parlaments, nachhaltige Veränderung in der Pestizidpolitik herbeizuführen. Im Folgenden geben wir eine Übersicht über die wichtigsten Abstimmungsresultate.

Rahmenrichtlinie zum nachhaltigen Einsatz von Pestiziden

Die neu entwickelte Rahmenrichtlinie soll zukünftig für die Anwendung von Pestiziden einen EU-weit harmonisierten Rahmen vorgeben. Die Parlamentarier sprachen sich deutlich für ein Verbot des Sprühens aus der Luft aus. Trotz Verbots soll es aber die Möglichkeit geben, Ausnahmegenehmigungen zu beantragen. Der Vorschlag, ein Vorwarnsystem für Anwohner oder Besucher der betroffenen Gebiete zu installieren, fand keine Mehrheit. Erfreulich ist, dass der Pestizideinsatz innerhalb und im Umkreis von sensiblen Zonen, z.B. in Parkanlagen, Kindergärten, Schulen oder Krankenhäusern,sowie in ausgewiesenen Schutzgebieten (nach FFH- oder Vogelschutz-Richtlinie), zukünftig verboten oder zumindest stark beschränkt werden soll. Der Pestizideintrag in Gewässer, Flüsse und Seen soll durch das Festlegen von Abstandsauflagen bzw. Pufferzonen verhindert werden. Einem einheitlichen Mindestabstand von 10 Metern stimmten die Parlamentarier aber nicht zu. Die Entscheidungen darüber sollen weiterhin in den Händen der einzelnen Mitgliedsstaaten bleiben. Der Gewässerschutz wurde auch mit einer klareren Verknüpfung mit der Wasserrahmen-Richtlinie gestärkt.

Die Parlamentarier unterstrichen die Notwendigkeit, zukünftig Nationale Aktionspläne (NAPs) für die Reduktion der Pestizidanwendung in den Mitgliedsstaaten zu entwickeln. Sie ergänzten den Kommissionsentwurf um Maßgaben zur Implementierung finanzieller Instrumente wie Steuern oder Abgaben und unterstützten einen konkreten Zeitplan und ein Berichterstattungssystem für die Vorbereitungen der NAPs.

Das vom Umweltausschuss vorgeschlagene EU-weite Reduktionsziel von minus 25% bis 2012 und minus 50% bis 2017 fand bedauerlicherweise keine ausreichende Unterstützung im Plenum. Immerhin wurde ein quantitatives Ziel für besonders problematische Stoffe, sogenannte "substances of very high concern" unterstützt. Danach sollen diese innerhalb von 10 Jahren um 50% reduziert werden.

Verordnung zum Inverkehrbringen von Pestiziden

Die Verordnung zum Inverkehrbringen von Pestiziden soll zukünftig die derzeit gültige Richtlinie 91/414/EG ersetzen. Dabei bleibt die grundsätzliche Aufteilung der Zuständigkeiten erhalten: Gremien der Europäischen Kommission entscheiden über die einsetzbaren Pestizidwirkstoffe, die Zulassung der Mittel liegt auf der Ebene der Mitgliedsstaaten.

Eine klare Absage erteilte das Parlament dem Kommissionsvorschlag, die Mitgliedsstaaten drei Zulassungszonen zuzuteilen und den einzelstaatlichen Entscheidungsraum für Produktzulassungen quasi aufzuheben. Die Parlamentarier unterstützten dagegen den Vorschlag, die bereits gültigen, aber wenig genutzten Möglichkeiten der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen zwischen den Mitgliedsstaaten zu verbessern.

Es gab ein klares Plädoyer für die Einführung des Substitutionsprinzips und der vergleichenden Bewertung. Der vergleichenden Bewertung sollen alle Pestizide und nicht nur die problematischen unterzogen werden. Deutlich verschärft wurden auch die vorgeschlagenen Zulassungsfristen. Erstmalige oder wiederholte Zulassungen können nur für jeweils maximal 10 Jahren erfolgen. Substitutionskandidaten, also solche Wirkstoffe, die durch andere Stoffe oder Verfahren zu ersetzen sind, sollen nicht sieben, sondern nur für fünf Jahre zugelassen werden, um so den Druck für Innovationen und die Einführung nicht-chemischer Alternativen zu erhöhen.

Strengere Vorgaben sollen auch bei den stoffspezifischen Ausschlusskriterien gelten. Die Abgeordneten unterstützten den Vorschlag, zukünftig in der EU nicht nur auf krebserregende, mutagene, reproduktionstoxische und hormonell wirksame Stoffe zu verzichten, sondern auch auf Wirkstoffe mit immunotoxischen und neurotoxischen Eigenschaften. Sensiblen Gruppen der Bevölkerung soll zukünftig mehr Aufmerksamkeit und Schutz zukommen. Nach Auffassung der meisten Parlamentarier sind darunter nicht nur Schwangere, Kinder, Kranke oder alte Menschen zu verstehen, sondern auch Anwohner von Pestizid-Anwendungsflächen oder zufällig Anwesende, z.B. Spaziergänger. Der Vorschlag einer obligatorischen Informationspflicht für Landwirte gegenüber Anwohnern zu geplanten Spritzeinsätzen fand jedoch keine Mehrheit.

Thematische Strategie

Am folgenden Tag, den 24. Oktober 2007, stimmte das Parlament über die Thematische Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden ab. Dabei gab es im Vorfeld weniger kontroverse Debatten. Dies mag daran liegen, dass das relativ neue Instrument der Thematischen Strategien zwar politische Regeln und Ziele vorgibt, aber kein den Richtlinien oder Verordnungen vergleichbares Rechtsinstrument darstellt.

Durch ihr Votum verdeutlichten die EU-Abgeordneten nochmals, dass die derzeitigen Pestizidgesetze Mensch und Umwelt nicht ausreichend vor Pestizidrisiken schützen, und dass die Notwendigkeit besteht, die legislativen Lücken bezüglich der Anwendung von Pestiziden zu schließen. Sie plädierten für die Festlegung konkreter quantitativer Reduktionsziele bei der Pestizidanwendung und sprachen sich für die Förderung nachhaltiger landwirtschaftlicher Produktionsmethoden und des nicht-chemischen Schädlingsmanagements aus. Zudem wurde darauf gedrängt, Biozide in die Thematische Strategie mit aufzunehmen, sich intensiver mit den Nicht-EU-Nachbarn um die Pestizidproblematik, z.B. der Rückstandssituation in importierten Lebensmitteln zu kümmern, und Maßnahmen zu finanzieren, um die 200.000 Tonnen (geschätzt) Pestizidaltlasten in der EU sicher zu entsorgen.

Wie geht´s weiter?

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Dies gilt auch für den Abstimmungsprozess von EU Gesetzen.Bis zum Inkrafttreten der Gesetze wird wohl noch ein Jahr vergehen. Die zweite Lesung der Gesetzesvorschläge im EU-Parlament ist entweder direkt vor der Sommerpause oder in der zweiten Hälfte 2008 zu erwarten. Zuvor wird der EU-Ministerrat einen gemeinsamen Standpunkt, wahrscheinlich im April, verabschieden.Die politische Einigung im Agrarrat erfolgte bereits im Dezember, die Ergebnisse wurden jedoch erst im Januar 2008 veröffentlicht und werden derzeit von PAN ausgewertet.

Wie aus den Kommentaren der Europäischen Kommission und der gemeinsamen Position des Agrarrates abzusehen ist, wird es ein hartes Ringen bei einigen Punkten geben. Besonders umstritten ist die Idee der zonalen Zulassung, ob das Vorsorgeprinzip explizit genannt wird, oder ob es nur um Risikoreduktion oder auch um Anwendungsreduktion gehen soll. Es ist zu hoffen, dass das Parlament bei dem Druck von Rat, Kommission und selbstverständlich von der Pestizidlobby seinen Elan bis zur zweiten Lesung beibehält und den vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutz als Hauptziel der europäischen Pestizidpolitik festschreibt. PAN wird weiterhin gemeinsam mit einer starken Allianz von NGOs in vielen EU-Ländern und mit unterschiedlichen Aktivitäten aktiv sein.


Für detaillierte Informationen oder Links zu den Gesetzesvorschlägen fragen Sie bitte in der PAN-Geschäftsstelle nach:
susanne.smolka@pan-germany.org

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