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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Der Pestizidmarkt im Osten

01.12.2006, PAN Germany, Susanne Smolka

Die neuen EU-Mitgliedsstaaten bieten ein großes Wachstumspotenzial für den Pestizidmarkt. Westliche Pestizidhersteller greifen tief in die Taschen, um die einheimische Konkurrenz auszubooten und den Osten als lukrativen Pestizidmarkt zu erschließen.

In der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift Agrow Magazine wird der Region Osteuropas besondere Aufmerksamkeit geschenkt und eine Zusammenstellung von Eckdaten präsentiert.¹ Der europäischen Pflanzenschutzvereinigung ECPA zufolge war Europa in den letzten fünf Jahren mit einem jährlichen Zuwachs von 6,4% der am schnellsten wachsende Markt für Pflanzenschutzerzeugnisse weltweit. Mit einem Anteil von 29% am Weltmarkt liegt Europa nun vor den Märkten Nordamerika und Asien/Pazifik, deren Anteil jeweils bei 25% liegt.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass für diese Zuwachsraten in Europa fast ausschließlich der wachsende Markt in der Region der ehemaligen UDSSR verantwortlich ist. Nach Daten der BASF wuchs der Pflanzenschutzmarkt vom Jahr 2000 bis zum Mai 2004 in den zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten (inkl. der zwei kleinen westlichen Märkte Zypern und Malta) um 36% an. Demgegenüber verzeichneten die Pestizidvermarkter im westlichen Europa (EU-15) im gleichen Zeitraum Einbußen von 12%. Weltweit stagniert der Pestizidmarkt demgegenüber.

Dies ruft selbstverständlich alle Pestizidfirmen auf den Plan, sich besonders intensiv um diese Region zu kümmern und sich schnellstmöglich die besten und größten Brocken des Kuchens zu sichern. Entweder bauen sie zügig ihre eigenen Vermarktungsstrukturen gen Osten aus, oder sie "akquirieren" die Firmen ihrer östlichen Kollegen. Der Landwirtschaftssektor macht fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts unserer östlichen Nachbarländer aus, während er in Westeuropa bei nur zwei Prozentanteilen liegt. Dort sind 21% aller Arbeitsplätze in der Landwirtschaft angesiedelt, hier im Westen nur 5%.

Nicht alle, aber viele Regionen im europäischen Osten sind durch kleine landwirtschaftliche Betriebe charakterisiert, die für ihren eigenen Bedarf und für ihre Region produzieren. Solche Strukturen sind der Pestizidindustrie nicht sehr genehm, da die Kleinbauern traditionell wenig Pestizide und Kunstdünger einsetzen, und wenn sie doch zu diesen Mitteln greifen, sind sie nur schwer davon zu überzeugen, das unbekannte neue, aber umso teurere Westprodukt zu kaufen. Als besonders antiquiert und unrentabel kommt - aus dem Blickwinkel der Verkaufsstrategen - Polen daher. Dort arbeiten 2,6 Millionen Menschen in der Landwirtschaft, das sind rund 30% der gesamten Arbeitskraft des Landes. Sie erwirtschaften jedoch lediglich 3,8% des Bruttoinlandprodukts. Polen hat rund zwei Millionen landwirtschaftliche Betriebe mit einer durchschnittlichen Größe von etwas über sieben Hektar. Die durchschnittliche Größe eines westeuropäischen Betriebes liegt im Vergleich bei 19 Hektar.

Mit dem EU-Beitritt kam das Geld, mit dem Geld kommt die Modernisierung der Landwirtschaft, und die Modernisierung bedeutet kurz und knapp das Aus für die meisten dieser kleinen Betriebe. Es entwickeln sich große, mit high-tech und high-input ausgerüstete Strukturen, und die Pestizidindustrie sieht dort, mithilfe des Rückenwinds aus Brüssel, rosigen Zeiten entgegen.

Hält man an dem westlichen Leitbild der industriellen, konventionellen Landwirtschaft fest, so ist nichts gegen diesen Plan einzuwenden. Da gibt es nur zwei kleine Probleme:
1) wenn sich Polen hinsichtlich seiner landwirtschaftlichen Strukturen dem EU-Durchschnitt angleichen würde, stünden schätzungsweise 3,2 Mio. Menschen auf der Straße;
2) wie lassen sich diese Entwicklungen mit dem politischen Ziel der Europäischen Gemeinschaft vereinbaren, Pestizidrisiken zu reduzieren und gleichzeitig die Abhängigkeit der Landwirtschaft vom Pestizideinsatz zu vermindern?
Vergleichbare Entwicklungen gibt es natürlich auch in den anderen östlichen Beitrittsländern. Um sie fit für den EU-Markt zu machen, floss viel Geld in die Länder, hauptsächlich seit dem Jahr 2000 über SAPARD (Special Accession Programme for Agriculture and Rural Development). Seit dem Beitritt 2004 fließen Agrarsubventionen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik. Sie lagen 2004 bei einem Anteil von 25% und liegen derzeit bei 55%. Wären die vollen Subventionen geflossen, wäre das Risiko zu groß gewesen, die unerwünschten kleinräumigen Strukturen in der Landwirtschaft beizubehalten.

Die gemäß der herkömmlichen Agrarpolitik ausgerichtete Strategie geht auf. In Polen ist die Zahl der Betriebe in den letzten 10 Jahren um gut 10% gesunken, die durchschnittlichen Flächenanteile der Höfe nehmen bereits in Ungarn und Tschechien zu. Tschechien besitzt bereits jetzt mit durchschnittlich 79,4 Hektar die größten Betriebe in der Europäischen Union.

Die größten Agrarmärkte der Region, Ungarn, Tschechien und Polen, bieten selbstverständlich die größten Vermarktungspotenziale für den Pestizidsektor. Im Jahr 2005 lag der Umsatz des Pestizidmarktes in den acht neuen EU-Mitgliedsstaaten bei rund 875 Millionen Euro, der Anteil der genannten drei großen Länder lag bei 86% des Gesamtumsatzes. Erfreut melden die Hersteller wachsende Verkaufszahlen. Syngentas Markt wächst in der Region seit 2002 jährlich um satte 12% und erreichte 2005 die Marke von 400 Millionen US-Dollar Jahresumsatz. Der Konzern Bayer Crop Science konnte zwischen 2001 und 2004 seine Umsätze verdreifachen und kündigte nun an, in Polen jährlich zwei neue Produkte einführen zu wollen. Die aggressive Expansion drängt die ungleich kleineren einheimischen Firmen aus dem Markt. Die westlichen Firmen geben rund dreimal soviel für Verkaufsförderung und Werbung aus wie die einheimischen Firmen. Zwar können ein paar wenige Firmen durch eine enge Kundenbindung noch den Hauptanteil des Marktes in ihrem Land halten, wie z.B. Organika-Sarzyna in Polen oder Pinus in Slowenien, aber Experten des Pestizidmarktes betonen, dass der Kampf um die Konsumenten gerade erst begonnen hat.

Mit dem EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien 2007 wächst die landwirtschaftlich genutzte Fläche der EU nochmals um rund 90 Mio. Hektar. Es wird erwartet, dass der Pestizidmarkt um rund 200 Mio. US-$ auf insgesamt ca. 10,4 Mrd. US-$ anwächst. Ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen. Das zeigt auch ein Blick über die EU-Grenzen. Staaten wie beispielsweise die Ukraine oder Russland beginnen, ihre Landwirtschaft zu modernisieren. In Richtung Südosten hoffen viele Balkanstaaten auf den baldigen Start von Beitrittsverhandlungen mit der EU. Werden soziale, gesundheitliche und Umweltrisiken bei gleichzeitigem Wachstum des Pestizidmarktes vernachlässigt, stehen, wie gesagt, rosige Zeiten bevor - für die Pestizidindustrie und ihre Anteilseigner.

(Susanne Smolka)

(aus: PAN Germany Pestizid-Brief November/Dezember 2006)

¹Agrow Magazine (2006): Europe´s new constellation. Dezember 2006, S. 6 - 8: http://www.agromag.com

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