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Kosten-, Markt- und Gesundheitsaspekte des Pestizideinsatzes in Afrika

01.11.2005, Susan Haffmans, PAN Germany

Dieser Beitrag beruht auf dem Artikel "Braking the Barriers to IPM in Africa: Evidence from Benin, Ethiopia, Ghana and Senegal" von Stephanie Williamson in der Publikation "The Pesticide Detox" von Jules Pretty (Hg.), Juli 2005.

Afrika weist von allen Kontinenten der Erde den niedrigsten Pestizideinsatz pro Fläche auf. 1990 betrug die ausgebrachte Menge 1,23 kg/ha. Im Vergleich dazu lag sie in Asien bei 3,12 kg/ha und in Lateinamerika bei 7,17 kg/ha. Doch die Tendenz ist steigend: 1994 lag der Anteil Afrikas am Weltpflanzenschutzmarkt noch bei 2%, 2002 lag der Anteil bereits bei 3%.4 Die Pestizide werden vor allem auf Exportfrüchten eingesetzt, in der Produktion von Baumwolle, Kakao, Gemüse, Palmöl und Kaffee. Der Anbau erfolgt in erster Linie durch Kleinbauern.

Viele afrikanische Staaten tragen das Erbe einer jahrzehntelangen Pestizidbereitstellung durch sogenannte development assistance agencies, die häufig die Pestizide kostenlos und direkt an unausgebildete Anwenderinnen und Anwender verteilt haben. Darüber hinaus kam es im Rahmen groß angelegter Malaria- bzw. Zwischenwirtbekämpfungen zu einer zum Teil sehr unsicheren Lagerung größerer Mengen von Pestiziden. Die Deregulierung (Liberalisierung) des Marktes für Pestizide, die sich in den vergangenen Jahren vollzog, bewirkte einen Anstieg des inoffiziellen Handels mit Pestiziden, oft solcher mit minderer Qualität.

Trotz der Schwierigkeiten, an gesicherte Daten über Ausbringungsmengen von Pestiziden zu gelangen, kann anhand der Verkaufszahlen gezeigt werden, dass mehr Bauern Pestizide auch beim Anbau von Nahrungsmitteln einsetzen. So stieg die Anzahl der Bauern in Benin, die Pestizide im Getreideanbau verwenden, von 40% im Jahr 1993 auf 60 % im Jahr 1998.

Vor dem geschilderten Hintergrund hat PAN UK vier Einzelstudien in Zusammenarbeit mit Mitglieds- und Partnerorganisationen durchgeführt, in denen es um Entwicklungen in der Anwendung von Pestiziden durch Kleinbauern ging. Acht Anbausysteme in vier afrikanischen Ländern (Benin, Äthiopien, Ghana und Senegal) wurden untersucht. In zwei Ländern (Benin und Senegal) stand der Baumwollanbau im Vordergrund.

Bezüglich des mengenmäßigen Pestizideinsatzes konnten in allen untersuchten Anbausystemen ähnliche Trends beobachtet werden. Trotz rapide steigender Pestizidkosten in den vergangenen drei bis fünf Jahren ist ein Anstieg im Pestizideinsatz seit den 90er Jahren zu verzeichnen. 68% der senegalesischen Baumwollbauern geben an, dass sie in den letzten zehn Jahren die Ausbringungsmenge gesteigert haben. Lediglich Bauern, die vom Baumwoll- auf den Erdnussanbau umgestiegen sind, haben die Ausbringungsmengen reduziert.

Auch die Ausbringungshäufigkeit stieg an. Baumwollfarmer in Benin berichten, dass sie 8 bis12 mal pro Saison sprühen und 10,5 Liter ausbringen. Die Baumwollfirmen empfehlen 5-6 Spritzgänge und eine Ausbringungsmenge von 8 Litern. Hieraus lässt sich auf Fehlanwendungen und Überdosierungen von Pestiziden schließen, und diese hohe Anwendungshäufigkeit ist zudem ein Indiz für mangelnde Beratung1

Ein Blick auf die Inputkosten zeigt, dass der Anteil der Pestizidkosten an den Produktionskosten enorm hoch und in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist. Es wird davon ausgegangen, dass Bauern dann keine nennenswerten Probleme mit der Schädlingsbekämpfung haben, wenn die Bekämpfungskosten unter 10% der gesamten Produktionskosten liegen. Für die untersuchten Anbausysteme in Benin und Senegal wird jedoch der Anteil der Pestizidkosten an den gesamten Produktionskosten mit 22-31% angegeben. Ein solch hoher Input ist jedoch keine Garantie für hohes Einkommen auf Seiten der Bauern. Viele Farmer berichten über Gewinnverluste und Schädlingsprobleme. Bleibt der erhoffte Ertrag aus oder erbringt der Verkauf der Feldfrüchte nicht den angestrebten Erlös, zwingt dies die Bauern oft zum Verkauf von Tieren oder von Land, um die Schulden zu begleichen, die sie durch den Kauf der Pestizide gemacht haben. Sie geraten in eine Schuldenfalle, aus der es kaum einen Ausweg gibt, da sie sich selbst die Lebens- und Verdienstgrundlage entziehen. Armut ist die Folge.

In der Vergangenheit hatte in allen vier untersuchten Ländern der Staat die führende Rolle bei der Pestizidverteilung inne. Finanzkürzungen führten in jüngeren Zeit zu einem Rückgang der staatlichen Verteilung und staatlichen Pestizidberatung sowie der Ausbildung. In Folge der Liberalisierung der Märkte und der extrem gestiegenen Pestizidkosten beziehen viele Bauern die Pestizide über informelle Märkte. Die Risiken dieser Praxis sind erheblich, denn die auf diese Weise eingekauften Mittel sind zwar billig, was sich zunächst für die Bauern als Vorteil darstellt, sie sind aber zumeist unangepasst und hoch toxisch. Gemüsebauern in Benin versorgen sich mit billigen Pestiziden aus den Nachbarländern Togo und Nigeria, die eigentlich für die Anwendung im Baumwollanbau oder für die Heuschreckenbekämpfung vorgesehen sind. Die gestiegene Ausbringungsmenge und das Ausbringen ungeeigneter Mittel mögen einen Teil zu dem beobachteten vermehrten Schädlingsdruck beigetragen haben. Resistenzen des Baumwollkapselkäfer und der Weißen Fliege auf häufig eingesetzte Spritzmittel haben seit 1998 in Westafrika zu erheblichen Problemen im Baumwollanbau geführt. Betroffen sind hiervon sowohl Bauern als auch die Baumwollunternehmen. Gestiegener Schädlings- und Unkrautdruck, Krankheiten und der Verlust von Bodenfruchtbarkeit werden als Gründe genannt, warum beispielsweise in Äthiopien einige Feldfrüchte (z.B. Erbsen), die noch vor zehn Jahren kultiviert wurden, heute nicht mehr angebaut werden.

Dies alles heißt, dass die Abhängigkeit von Agrarchemikalien in Afrika zunimmt und sich dieser Pestizideinsatz auf die Bereiche Ökonomie, Wirtschaft und Gesundheit auswirkt. Die Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von "exessive use and misuse".

Die Liberalisierung des Pestizidmarktes und der infolgedessen entstandene inoffizielle, unkontrollierte Handel verursachten oder verstärkten eine Reihe von Problemen:

  • größere Gebinde werden in kleinere Mengeneinheiten aufgeteilt, in Benin bis hin zu 1/8 l Einheiten - als Behälter und Verpackungen dienen Plastiktüten oder leere Flaschen und sonstige ungeeignete Behältnisse1
  • die umgepackten Pestizide sind überhaupt nicht oder nicht fachgerecht beschriftet
  • es gibt keine Gewähr dafür, dass umverpackte Inhalte nicht ggf. gestreckt oder gemischt wurden
  • es gibt keine Sicherheit dafür, dass Inhalt und Etikett übereinstimmen
  • durch den verbotenen, grenzüberschreitenden Handel kommt es dazu, dass Behälter mit fremdsprachigen Labeln auf den Markt gebracht werden und die AnwenderInnen die Hinweise nicht lesen und verstehen können (so weit sie denn lesen können)

Die vermeintlichen Vorteile des inoffiziellen Handels für die Bauern sind:

  • die schnelle Verfügbarkeit der Ware
  • der niedrige Preis (Schwarzmarktimporte aus anderen Ländern sind bis zu 10 mal billiger als die "offiziellen" Inlandsprodukte)
  • die kleinen Mengeneinheiten, die den Kauf auch bei wenig verfügbarem Kapital erlauben

Die am meisten verbreiteten Pestizide, die in den acht Anbausystemen zum Einsatz kommen, sind die Insektizide Endosulfan, Dimethoat, Cypermethrin, Chlorpyrifos, Malathion, Profenofos, Deltamethrin und Fenitrothion sowie als Breitbandherbizid Glyphosate. Die sieben erstgenannten werden u.a. im Benin im Baumwollanbau eingesetzt.2 Endosulfan ist von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "moderat toxisch" eingestuft (WHO Klasse II), die amerikanische Umweltbehörde EPA klassifiziert Endosulfan in der Kategorie Ib "Highly hazardous".3 Es ist fischgiftig, wird im Boden nur langsam abgebaut, es kann bei Langzeitexposition Leber- und Nierenschäden verursachen, und es steht im Verdacht, Geburtsdefekte zu verursachen.

Der Umgang, die Anwendung und die Lagerung der Pestizide erfolgt derart, dass die AnwenderInnen sich und ihre Familien und auch Konsumenten in Gefahr bringen. Probleme sind:

  • fehlende Ausrüstung der Bauern: Es mangelt an Schutzkleidung und geeigneten Gerätschaften zum Anrühren und Ausbringen der Pestizide
  • Lagerung im Haus: Grund für die Lagerung im Haus ist oft der für die Familien erhebliche Wert der Mittel und die Angst vor Verlust. So lagern 93% der Ananasbauern in Benin ihre Pestizide in jenem Raum, in dem sie auch schlafen
  • Zweckentfremdung leerer Pestizidbehälter: 45% der Baumwollbauern verwenden die leeren Pestizidbehälter, um Wasser, das im Haushalt benötigt wird, zu transportieren. Es kommt vor, dass die entleerten Kanister als Vorratsbehälter für Nahrungsmittel, wie beispielsweise Mais, verwendet werden.1 Laut Angaben aus Benin sind 57% der nicht tödlich endenden und 86% der tödlich endenden Vergiftungen Folge der Kontamination von Nahrung durch den Gebrauch leerer Pestizidbehälter im Haushalt

Einige Pestizide aus der Gruppe der Organophosophate schwächen das Immunsystem. Dies ist besonders problematisch im Hinblick auf Mangelernährung und ohnehin schon geschwächte Menschen mit HIV-Infektion.

Folgen des Pestizideinsatzes sind immer wieder gesundheitliche Probleme wie Migräne, Magenbeschwerden, Haut- und Augenreizungen und andere Krankheitsbilder, aber auch wirtschaftliche Schwierigkeiten für die Beteiligten.

Dazu zählen:
  • Arbeitsausfall und daraus resultierend zusätzliche Kosten für die Bezahlung von Lohnarbeit oder Gewinneinbußen
  • Kosten für Medikamente, Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte und
  • Produktivitätsverlust

Vergiftungen, tödliche Unfälle und Suizide geschehen in einem unakzeptablen Ausmaß. Im Zusammenhang mit Vergiftungen wurde immer wieder Endosulfan genannt. Die OBEPAB (Organisation Béninoise pour la Promotion de l'Agriculture Biologique) dokumentierte in Baumwollanbauregionen Benins in der Saison 1999-2002 619 Fälle akuter Vergiftungen, 101 davon endeten tödlich (Berichte aus 77 Dörfern in 12 Distrikten in den Regionen Borgou und Alibori). 20 Vergiftungsunfälle und 1 bis 2 Todesfälle pro 100.000 Einwohner durch Endosulfan jährlich zeigen, dass auch Pestizide der WHO Klasse II, die als "mäßig giftig" eingestuft sind, unter Armutsbedingungen und bei unzureichender Ausbildung erhebliche Probleme verursachen können. Äthiopische Bauern aus drei Dörfern berichteten von Suiziden mit Pestiziden, Angaben, die auch von anderen afrikanischen Ländern wie Benin bestätigt werden und zu steigender Besorgnis Anlass geben. Und sie berichten von Todesfällen infolge des Einsatzes von unverdünntem Malathion mit und ohne Beimischungen von DDT auf offene Wunden und gegen Kopfläuse. Dies zeigt erneut, dass die Pestizidanwendung unter Armutsbedingungen erhebliche Probleme mit sich bringt, die nicht nur auf die reine "Ausbringungspraxis" auf dem Feld beschränkt bleiben.1 Die Anwender sind nicht oder nur unzureichend über die Pestizide und ihre Toxizität informiert. Wer Analphabet ist, kann die Hinweise auf den Etiketten nicht lesen; über Nachbarländer importierte Ware ist zudem oft nicht in der entsprechenden Landessprache beschriftet. Symbole auf den Etiketten können falsch gedeutet werden. So kann ein durchgestrichenes Insekt als Hinweis auf Anwendung gegen Läuse interpretiert werden. Baumwoll- und Bohnenfarmer aus Ghana berichten, dass 490 von 1.000 Bauern gesundheitlich durch Pestizide betroffen sind. Die Betroffenheit reicht von "gelegentlichen Effekten" über "regelmäßige und häufige Effekte" bis hin zu Krankenhausaufenthalten infolge von Pestizidvergiftungen. Letztere sind jedoch aus unterschiedlichen Gründen (z.B. Kosten und Erreichbarkeit) äußerst selten.1 Nur 1% der Baumwollbauern in Benin gaben an, nach Spritzgängen frei von gesundheitlichen Einschränkungen zu sein. 99% der Bauern berichten, nach dem Ausbringen von Insektiziden in den Baumwollfeldern an Migräne (38%), Hautirritationen (34%), erhöhter Temperatur (32%), Katarrh (21%), Müdigkeit (12%), Übelkeit (8%), Schmerzen u.a. zu leiden. Gesundheitliche Folgen bestehen aber nicht nur für Anwender: 30-50% der Vergiftungen manifestieren sich bei Frauen und Kindern. Interviews in Ghana (2003) ergaben, dass die Baumwoll- und Bohnenbauern die gesundheitlichen Probleme durch das Ausbringen der Insektizide als ein "fact of farming life" ansehen. Für sie ist es Alltag, nach Spritzungen 2 bis 7 Tage im Bett bleiben zu müssen, um sich von den negativen Folgen zu erholen.


1 Ergänzungen durch Susan Haffmans
2 Ergänzt aus "Les pesticides au Benin". 2eme ed. 2004 PAN Afrika. S.33 Tab. 8.
3 Ergänzt aus "http//www.poptel.org.uk/ panap/pest/pe-end.htm".
4 Ergänzt aus "Jahresbericht 1994/95", Industrieverband Agrar, Frankfurt

Susan Haffmans


Aus: PAN Germany Pestizid-Brief November/Dezember 2005

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