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"Altes Land" lässt ahnen, was die neuen Anwendungsregeln für Pestizide wert sind

01.11.2001, PAN Germany

Die Obstbauern im sogenannten "Alten Land" bei Hamburg müssen 250.000 Obstbäume fällen, berichtete der SPIEGEL im Februar im besten Bildzeitungsstil. Schuld sei "Behördenirrsinn", der beim Pestizideinsatz künftig 5 Meter Abstand zu Gewässern vorschreibe. Und ohne Pestizideinsatz müssten Obstbäume, die näher am Wasser stehen, gerodet werden.

Hinter der ganzen Aufregung stecken die neuen Anwendungsbestimmungen für Pestizide, die unter dem Druck der Landwirtschaft zustande kamen. Denn die Einführung der Indikationszulassung mit der Ausweitung bußgeldbewehrter Anwendungsbestimmungen begrenzte gerade in Sonderkulturen die Auswahl an Pestiziden. Mit den flexiblen Anwendungsbestimmungen sind nun die begehrten Substanzen wieder verfügbar.

Die neue Regelung ermöglicht es den Anwendern nicht nur, die Abstände zu Gewässern zu verringern, wenn sie bestimmte risikomindernde Maßnahmen wie abdriftmindernde Techniken einsetzen (Auflagen NW 602 und 603). Darüber hinaus können auch Sondergebiete festgelegt werden, in denen abweichend von den bundeseinheitlichen Abstandsbestimmungen weitgehende Ausnahmen gelten (Auflage NW 604).
Als einziges Sondergebiet wurde bisher das "Alte Land" ausgewiesen. Entgegen dem im SPIEGEL-Artikel verbreiteten Eindruck werden hier künftig die geltenden Abstandsauflagen für die Pestizidanwendung im Obstbau extrem reduziert: Statt bis zu 50 Metern muss nach den vom Pflanzenschutzamt Hannover angeordneten "Risikominderungsmaßnahmen" bei Verwendung von verlustmindernder Technik nur ein Abstand von 1 bis 5 Meter zu dauerhaft wasserführenden Gewässern (1 Meter zu periodisch wasserführenden Gewässern) eingehalten werden.

Durch die Aussagen im Artikel wird auch deutlich, dass Pestizide im "Alten Land" offensichtlich jahrelang illegal eingesetzt wurden: Unabhängig von den zusätzlichen Abstandsauflagen, die für einzelne Pestizide gelten, verbietet das Pflanzenschutzgesetz die Anwendung von Pestiziden in und unmittelbar an Gewässern seit Jahren ganz generell - in der Regel schreiben daher die Länder grundsätzlich einen Mindestabstand zu Gewässern von 1 Meter vor.

In einem Schreiben an das Pflanzenschutzamt Hannover bestätigt das Umweltbundesamt den Verstoß gegen geltendes Pflanzenschutzrecht. Dort heißt es (Zitat): "Auf die offensichtliche Nichteinhaltung der früher auch für das "Alte Land" geltenden bundeseinheitlichen Abstandsregelungen beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln soll in diesem Zusammenhang hingewiesen werden, was als Ordnungswidrigkeit eine Bußgeldahndung bis zu DM 100.000,- zur Folge hätte haben müssen (..). Es ist davon auszugehen, dass von den Anwendern von Pflanzenschutzmitteln der Sachverhalt, dass auch für diese (periodisch wasserführenden) Gewässer der § 6 PflSchG gilt, ignoriert wird. Fakt ist offensichtlich, dass in der Zeitspanne, in der diese Gräben Wasser führen, auch mehrfach Pflanzenschutzmittelanwendungen vorgenommen werden."

In Zukunft soll der Landwirt für jeden Schlag "seinen" Abstand zum Gewässer selbst ermitteln. Das funktioniert nach einem komplizierten Bonuspunktsystem mit 5 Abstandsvarianten. Dazu muss der Anwender schlagspezifisch die Randvegetation, den Gewässertypus und die Gewässerbreite ebenso genau kennen wie das Anwendungsprofil der gesamten Spitztechnik. Vorausgesetzt, er hat die Gebrauchsanweisung gelesen.

Es ist zu befürchten, dass diese Anwendungsregelungen noch weniger kontrollierbar sind als die bisher geltenden pauschalen Auflagen. Die Frage ist, wie das, was nicht oder kaum kontrollierbar ist (und daher kaum kontrolliert wird), in der Praxis eingehalten werden soll. Die Erfahrungen im Alten Land zeigen einmal mehr, dass statt neuer komplizierter Auflagen andere Lenkungsinstrumente nötig sind, um unerwünschte Wirkungen der Verwendung von Pestiziden zu vermeiden.

(Ulf Jacob)

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