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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Nitrofen-belastete Lebensmittel als konventionelle vermarkten?

01.05.2002, Carina Weber

In einem Aufmacherartikel der Süddeutschen Zeitung vom 12.6.2002 (S.1) zum Nitrofen-Skandal heißt es:

"Nitrofen-belastetes Fleisch darf in Bayern nun doch nicht verkauft werden. Landwirtschaftsminister Josef Miller (CSU) machte damit einen Rückzieher. Zuvor hatte es im Ministerium geheißen, dass die betroffenen Bio-Bauern ihr Fleisch zu konventionellem Fleisch umdeklarieren und verkaufen könnten, solange der Nirofen-Grenzwert von 0,01 Milligramm pro Kilo unterschritten werde. Der Bauernverband hatte das scharf kritisiert."

Wieso kritisiert der Verband? Die Vermarktung als konventionelle Ware wäre ganz legal. Sogar Lebensmittel mit Grenzwertüberschreitungen werden zuweilen wissentlich vermarktet. Einige Fakten zum Kontrollsystem und zur Lage bei den Rückständen machen dies deutlich.

Chemisch-synthetische Pestizide werden in der EU staatlich geprüft und für die konventionelle Landwirtschaft zugelassen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Pestizidrückstände im Agrarprodukt verbleiben können. Um die VerbraucherInnen vor zu hohen Pestizidrückständen zu schützen, werden Grenzwerte für Pestizidrückstände in Lebensmitteln festgelegt.

Doch eine Überschreitung der Grenzwerte wird durch die Überwachung nicht selten toleriert. Im Bericht über einen Kontrollbesuch des Lebensmittel- und Veterinäramts der EU in Deutschland vom 9.-13.7.2001 heißt es: "Rückstände von Pflanzenschutzmitteln werden nicht als eine ernsthafte Gefahr angesehen. Produkte, deren Rückstände die gesetzlichen Höchstwerte überschreiten, werden in der Regel nicht beschlagnahmt. Die Verfahren bei Verstößen sind überaus schwerfällig, und es werden nur selten Verwaltungsverfahren eingeleitet. Das Feedback zwischen den einzelnen Kreisen ist unzureichend. Es gibt keinen Überblick über die Maßnahmen, die auf Bundes- und Länderebene ergriffen werden". Aber nicht nur bei der Rückstandsüberwachung wird den Deutschen Schludrigkeit vorgeworfen, sondern auch im Bereich des Pestizidhandels. Der Pestizidhandel, so der Bericht, wird kaum kontrolliert. Dies betrifft auch private Pestizidimporte durch Bauern.

Aus dieser Art des "Verbraucherschutzes" resultiert eine permanente Belastung von Lebensmitteln mit Pestizidrückständen – als dauerhafte Begleitung des Systems des chemischen Pflanzenschutzes. Einige Eckdaten hierzu: Den jüngsten Ergebnissen des Pesticide Residue Monitoring 2000 der EU-Kommission ist zu entnehmen, dass EU-weit 39% der Proben (untersucht wurden Obst, Gemüse und Getreide) Rückstände aufwiesen. 4% der Analysen überschritten die Grenzwerte. In 15% der Analysen wurde mehr als ein Wirkstoff als Rückstand gefunden. 2,8% der Proben wiesen mehr als 4 verschiedene Rückstände auf. Bezüglich der Analysen aus Deutschland ist die Lage ähnlich. 42,2% der Proben wiesen Rückstände auf. In 3,9% der Fälle wurden die Grenzwerte überschritten.

Unter den Rückständen befinden sich auch sehr problematische Stoffe. Dies zeigt die jüngst veröffentlichte PAN Germany-Studie "From Law to Field – Pesticide Use Reduction Agriculture – From Pesticide Residue Analyses to Action". Danach sind von jenen 51 in der PAN Germany-Studie speziell untersuchten Wirkstoffen, die 2001 zugelassen waren, 33 umweltgefährlich, 14 giftig oder sehr giftig, 12 nervengiftig, 21 möglicherweise Krebs erzeugend, und 16 stehen unter dem Verdacht der hormonellen Wirksamkeit.

Warum aber will nun eigentlich der Bauernverband nicht, dass Öko-Lebensmittel, die Nitrofenrückstände in Mengen unterhalb des Grenzwertes aufweisen, als konventionelle Ware vermarktet werden? Anscheinend befürchtet der Verband, dass eine öffentliche Diskussion über die Vermarktung der Nitrofenware ein zu grelles Licht auf die Standardunterschiede bei ökologischer und konventioneller Ware werfen würde. Lebensmittel mit Pestizidrückständen unterhalb der Grenzwerte sind keine Ausnahme, und sie werden schließlich alltäglich massenhaft als konventionelle Ware in den Verkehr gebracht und verzehrt.

Im Ökolandbau dürfen chemisch-synthetische Pestizide nicht eingesetzt werden, und im Nitrofen-Fall wurde von Anfang an davon ausgegangen, dass das Nitrofen nicht über eine Anwendung im Ökolandbau in die Futtermittel gelangt sein kann. Der Nitrofenskandal ist damit ein Symptom der Risikotechnologie "chemischer Pflanzenschutz" der konventionellen Landwirtschaft und ihrer vor- und nachgelagerten Sektoren. Wenn gefährliche Pestizide produziert, gehandelt und eingesetzt werden, gehören Gesundheits- und Umweltschäden zum System. Zu verhindern sind die Schäden nur durch die Nicht-Existenz der Gefahrstoffe. Solange dies nicht der Fall ist, müssen die Rückstände durch Behörden ernst genommen werden, die Kontrollen verstärkt, ein funktionierendes Frühwarn- und Meldesystem aufgebaut und mehr Transparenz hergestellt werden, um die Anzahl der Skandale und Probleme zu reduzieren. Parallel dazu müssen die Gefahrstoffe in der konventionellen Landwirtschaft aus der Anwendung genommen werden und gleichzeitig die konventionelle Landwirtschaft schrittweise auf Ökolandbau umgestellt werden. Dies wiederum ist nur möglich, wenn sich die Ernährung vom extrem hohen Fleischstandard abwendet und hin zu einer Ernährung entwickelt, in der Fleisch einen sinnvollen Stellenwert einnimmt und Lebensmitteln wieder ein vernünftiges Preisniveau zugestanden wird.

Quelle: PAN Germany Pestizid-Brief Mai/Juni 2002

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