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Artensterben im Agrarland und auf unseren Äckern

07.02.2017, PAN Germany Pestizid-Brief, Dr. Gesine Schütte

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Die biologische Vielfalt nimmt in den agrarisch geprägten Landschaften dramatisch ab, obwohl sich Deutschland völkerrechtlich verbindlich zum Schutz der Biodiversität verpflichtet hat. Bisherige Maßnahmen haben den Rückgang der Pflanzen- und Tierwelt im Agrarraum nicht umgekehrt, er wurde nicht gestoppt, nicht gebremst, sondern hat sich sogar noch beschleunigt. Die Frage stellt sich, ob es überhaupt noch eine Chance auf Rettung der Vielfalt gibt.

Die Dramatik des nutzungsbedingten Artenschwundes wird nachfolgend anhand dreier kurzfristig reagierender Indikatoren - Insekten, Beikräuter und Randstreifen (als Restlebensräume) - dargestellt. Vögel, die üblicherweise als Indikator herangezogen werden, reagieren sehr spät - mit einem Zeitverzug von etwa 10 Jahren. Zeigen sich dann Bestandsänderungen, ist es für viele Pflanzen- und Tierarten bereits zu spät.

Insekten

Der Insektenschwund wird von einer Vielzahl von Untersuchungen dokumentiert. Abbildung 1 zeigt einen Vergleich von aktuellen Erhebungen zur Insekten-Biomasse mit Werten aus dem Jahr 1989 in Nordrhein-Westfalen. Die Biomasse der Insekten ist innerhalb von 15 Jahren auf gut 20% abgesunken, und dies sogar in einem Naturschutzgebiet. Dies wird sich u.a. auf die Entwicklung der Vogelpopulation dramatisch auswirken. Die Nahrungsgrundlage vieler kleiner Wirbeltier-Arten ist verloren.

Abb. 1. Vergleichende Darstellung der gemessenen Biomassen (Abtropfmassen) der einzelnen Leerungsintervalle einer Malaise-Falle (Insektenfalle). Exemplarisch für Agrarland (Sorg M. et al., 2016)
Abbildung1

Der Rückgang der Insekten ist nicht neu, Warnungen gab es bereits zur Genüge. Die dramatische Entwicklung wird besonders anschaulich, wenn die aktuellen Insektenzahlen und -massen mit noch älteren Erhebungen verglichen werden. Im Vergleich zu 1970 gibt es nur noch grob 11 Prozent (Tab. 1), und im Vergleich zu 1936 nur noch ca. 2 Prozent an Insekten (Aebischer et al. 1991, Sorg et al .2016).

Tab11

Beikräuter im Feld

Viele Kulturpflanzen vertragen eine gewisse Menge an Bei- und Wildkräutern. Das gilt insbesondere für Weizen und Raps und für Rüben in den Zwischenräumen zwischen den Pflanzreihen. Nach einer aktuellen europaweiten Studie (IFAB/Oppermann 2016) findet sich von ehemals über 40 Arten im Schnitt nur noch eine Beikraut-Art pro Feld. Das entspricht im Vergleich zu den 1970er-Jahren einem Rückgang der mittleren Artenzahl auf 2,5 Prozent (Tab. 2). Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass die Feldgröße im Durchschnitt seit den 1970er-Jahren um das 2-4-fache gestiegen ist.

Tab2

Naturnahe Flächen

Naturnahe Flächen wie Pufferzonen und Säume sollten einen Anteil von mindestens 7 bis 10 Prozent ausmachen. Dieser Wert als Naturschutzziel ist nicht willkürlich gewählt. An der Grafik in Abbildung 3 wird deutlich, dass Pflanzen, Laufkäfer, Amphibien usw. in nennenswerter Artenzahl nur bei einem solchen Anteil erhalten werden können. Der heutige Flächenanteil liegt nach den Befunden der EU-weiten LISA-Studie (39 Regionen, 10 Länder) nur noch bei 0,3%.

Abbildung 2

Diese Flächen haben außer im Naturschutz auch eine herausragende Bedeutung für Nützlinge in Agrarlandschaften. Die Maßgabe, Schädlinge dauerhaft zu bekämpfen, indem Rand- und Grünstreifen z.B. mit Glyphosat behandelt werden, destabilisiert deren Ökosystemfunktionen. Natürliche Schaderreger-Kontrolle und Bestäubung sind gefährdet.

Tab. 3 Einteilung der Schädlinge und Nützlinge (antagonistische Insekten) nach ihren Ansprüchen an den Lebensraum (Keller und Häni 2000) Tab3

Die Bedeutung der zerstörten Flächen für Nützlinge ist viel größer als für Schädlinge. Dies zeigen zahlreiche Arbeiten zum Lebensraum Ackerrandstreifen (vgl. Tab. 3). Viele der hier erhobenen Nützlinge, wie etwa Schwebfliegen oder parasitoide Wespen sind in Hinsicht auf Blattlausbekämpfung und Bestäubung Leistungsträger, unter heutigen Bedingungen aber meist nur noch potenzielle Leistungsträger, weil nicht mehr stetig vorhanden.

Wir haben fertig - Landschaft leer

Lässt sich diese fatale Entwicklung mit ein paar Blühstreifen umkehren?

Die Daten legen nahe: Weder der heutige Umfang der Naturschutzflächen noch der der Ökolandbauflächen reichen aus, um das Artensterben im Agrarraum annährend zu bremsen. Solange der konventionelle Landbau noch den überwiegenden Teil der Flächen prägt und sogar Schutzflächen beeinflusst, muss er ökologische Mindestanforderungen erfüllen. Ziel müsste es sein, Interessenüberschneidungen zwischen nachhaltiger Landwirtschaft und Naturschutz ernst zu nehmen: Die Stärkung der Attraktivität des ländlichen Raums, der regionalen Versorgung (in Verbindung mit Kulturartenvielfalt) und der Nützlingsförderung. Kulturartenvielfalt und Nützlingsförderung verringern, und das ist ein entscheidender Punkt, die Abhängigkeit vom chemischen Pflanzenschutz.

Welche Maßnahmen hierfür notwendig wären, ist lange erforscht!

Beispielsweise ist genau bekannt, welche Ackerbegleitkräuter im Feld wenig Ertragswirkungen, aber einen hohen Wert für Nützlinge wie Blattlausfeinde, Bestäuber oder Vögel haben und welche Art der Unkrautbekämpfung hier eingesetzt werden kann (Storkey & Westbury 2007).

Weizen verträgt je nach Autor 20-30 Wildkräuter per Quadratmeter. Raps ist ebenfalls konkurrenzstark. Abstände von 50 Metern zwischen Blütenpflanzen wirken für kleine Nützlinge wie eine Barriere. Feldbreiten über 250 Metern werden von vielen Vögeln nicht mehr überflogen. Statt immer weniger "Unkräuter" zuzulassen, braucht es deshalb dringend mehr, um Nützlingsbestände zu sichern. Des Weiteren ist die Bestäubungsleistung von Wildbestäubern höher als die der Imkerbienen (Brezze et al. 2011, Garibaldi et al 2013) - aber fast alle kleineren Wildbestäuber und auch viele Blattlausfresser haben einen erheblich kleineren Flugradius. Sie müssen zudem geeigneten Wohnraum und Nistmaterial in direkter Feldnähe vorfinden. Fehlt dies, können sie sich nicht etablieren.

Wie anfangs gezeigt, braucht es unbeackerte und ungespritzte Grünbereiche auf 7 bis 10 Prozent der Fläche. Wenn artenreiche Lebensräume erhalten werden sollen, sind bis zu 25 Prozent zielführend. Es reicht nicht aus, dass Pestizide eine geringe Toxizität für Nicht-Zielorganismen haben, wenn der chemische Pflanzenschutz wichtigen Nützlingen wie etwa Bestäubern und Blattlausfeinden die Lebensgrundlage entzieht. Ohne Restpopulationen von Blattläusen z.B. können spezialisierte Nützlinge nicht überleben. Die vielen indirekten Wirkungen auf die Artenvielfalt und auf den für Landwirte wichtigen Nützlingsschutz müssen besser als bisher in Strategien zur landwirtschaftlichen Entwicklung und Produktivität berücksichtigt und unterbunden werden. Systeme, die auf maximale Ausbeute ausgerichtet sind, haben ab ca. 90 Prozent der Leistungsfähigkeit generell stark ansteigende unerwünschte Nebenwirkungen. Das gilt für Maschinen, die mit maximaler Drehzahl laufen, genauso wie für landwirtschaftliche Flächen und Böden. Mit anderen Worten, Kleinstflächen, Beikräuter mit geringer Ertragswirkung und organisches Material müssen im Sinne einer Mehrzieloptimierung (s. dazu Werner 1999) in maßvollen Mengen in der Fläche verbleiben.

Die Rettung der biologischen Agrar-Vielfalt ist finanzierbar!

Die bisherigen EU-Maßnahmen, verpflichtende Voraussetzungen für Agrarsubventionen (Cross Compliance) und direkte Subventionen für die Umwelt (Greening-Maßnahmen) waren und sind bislang nicht geeignet, Agrar-Biodiversität zu sichern (s.a. Pe´er et al. 2014). Ökologische Vorrangflächen mit hohem Wert für die Vielfalt - den haben sie derzeit nicht - und Subventionen für ökologische Leistungen werden gebraucht. Die Bankenrettung hat gezeigt, dass nicht das Geld fehlt, sondern eher der Wille, es einzusetzen. Zudem sollten, wie viele Ökonomen empfehlen, statt der hohen Steuern auf Arbeit Ressourcen und somit auch der Pestizideinsatz stärker besteuert werden, um Nachhaltigkeitsziele umzusetzen. Gemäßigte Aufpreise für auch im konventionellen Landbau notwendige ökologische Standards können ein weiteres Mittel sein. Dazu muss aber vernetzter und mit einem weiteren Horizont gedacht und gehandelt werden. So muss integrative Umweltpolitik beispielsweise mit einer Politik zum Vorteil der unteren Einkommensschichten verbunden werden. Statt 11 Prozent des Nettoeinkommens für Nahrungsmittel auszugeben, wären dann 12 Prozent machbar.

Die mäßigen Ertragsminderungen dieser Maßnahmen lassen sich durch gesunderes Ernährungsverhalten und weniger Verschwendung von Lebensmitteln um ein Vielfaches kompensieren. Allein ein um 28 Prozentverringerter Fleischkonsum der männlichen Bevölkerung würde in Deutschland eine Fläche so groß wie Schleswig-Holstein für andere Nutzungen freisetzen (Meier & Christen, 2012). Politik, Medien und Agrarwirtschaft stehen für einen Wandel in besonderer Weise in der Verantwortung.


(AutorIn, Dr. Gesine Schütte, gesine.schuette@uni-hamburg.de)


Literatur

Aebischer, N.J. (1991): Twenty years of monitoring invertebrates and weeds in cereal fields in Sussex. In: Firbank, L.G. et al. (eds.): The ecology of temperate cereal fields. Blackwell Sci. Publ., Oxford, UK: 305-331

Breeze, T.D., Bailey, A.P., Balcombe, K.G. & Potts, S.G. (2011): Pollination services in the UK: How important are honey bees? Agriculture, Ecosystems and Environment 142: 137-143.

Garibaldi, LA, Steffan-Dewenter, I & Winfree, R. (2013): Wild pollinators enhance fruit set of crops regardless of honey bee abundance Science 339:1608-1611:

Gerowitt, B., Bertke E., Hespelt, S.-K. & Tute, C. (2003): Towards multifunctional agriculture - weeds as ecological goods? Weed Research 43, 227-235

IFAB / Oppermann (2016): Landscape Infrastructure and Sustainable Agriculture, LISA http://www.umweltstiftung.com/fileadmin/archiv/foerderprojekte_ueberregional/Pressemitteilung_LISA-20nov2015.pdf

Keller, S., Häni, F. (2000): Ansprüche von Nützlingen und Schädlingen an den Lebensraum. Pages 199-217 in W. Nentwig, editor. Streifenförmige ökologische Ausgleichsflächen in der Kulturlandschaft: Ackerkrautstreifen, Buntbrache, Feldränder. Verlag Agrarökologie, Bern

Meier, T & Christen, O. (2012): Gender as a factor in an environmental assessment of the consumption of animal and plant-based foods in Germany. Int J Life Cycle Assess. DOI 10.1007/s11367-012-0387-x

Oesau, A. (1998): Möglichkeiten zur Erhaltung der Artenvielfalt im Ackerbau - Erfahrungen aus der Praxis, Schr.R.f. Vegetationskunde 29: 69-79. Bonn-Bad Godesberg

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