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Brexit - Was bedeutet diese Entscheidung für die Zukunft der britischen Landwirtschaft?

07.09.2016, Autor: Dr. Keith Tyrell, PAN UK, Übersetzung: Carina Weber, PAN Germany

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Nach der Entscheidung Großbritanniens für einen EU-Austritt fragt sich, was das für die britische Landwirtschaft bedeuten wird. In diesem Beitrag erörtert Keith Tyrell, Direktor von PAN UK, die sich daraus ergebenden Gefahren und Möglichkeiten und erläutert die Vision von PAN UK von einem nachhaltigeren landwirtschaftlichen System in Großbritannien.

Im Juni 2016 votierte die Wählerschaft des Vereinigten Königreichs mit knapper, aber eindeutiger Mehrheit für einen EU-Austritt. Diese Entscheidung hat dramatische Folgen für alle Bereiche der britischen Politik mit ihren mehr als 12.000 EU-Gesetzen und Regularien, die nun ersetzt oder neu verhandelt werden müssen.

Der UK-Agrarsektor ist stark von der EU-Politik beeinflusst - nicht nur durch EU-Gesetze wie etwa die Flora-Fauna-Habitat- und die Wasserrahmenrichtlinie oder jene zur Nachhaltigen Nutzung von Pestiziden, sondern er ist auch vom brüchigen Subventionsdickicht der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) abhängig. Dieses Paket nun völlig aufzuschnüren, ist einerseits voller Risiken, es bietet andererseits aber auch einzigartige Möglichkeiten für die zukünftige Gestaltung der Landwirtschaft in Großbritannien.

Es stehen nun formale Verhandlungen zur Gestaltung des Brexit an. Noch ist die Form der zukünftigen Beziehungen zur EU - und zu anderen globalen Handelspartnern - ungeklärt. Die Ungewissheit hat neue politische Handlungsfelder entstehen lassen. Interessengruppen kämpfen um Einfluss und präsentieren konkurrierende Visionen für die UK-Landwirtschaft und die ländlichen Räume.

Eine der Visionen ist auf die Schwächung der Umweltgesetzgebung ausgerichtet, um die Landwirtschaft noch stärker als bisher zu intensivieren. Insbesondere die EU-Pestizidgesetzgebung gerät unter Beschuss. Der britische Bauernverband, die National Farmers' Union (NFU), beklagt den "exzessiven Gebrauch des Vorsorgeprinzips" und verstärkt massiv ihre Versuche, bestehende Restriktionen zu verwässern.

Unterdessen gibt es mit Andrea Leadsome - einer früheren Bankerin, die im Rahmen der "Leave"-Kampagne eine prominente Rolle einnahm - eine neue Ministerin für Umwelt, Ernährung und ländlichen Raum. Kurz vor ihrer Ernennung waren ihre Äußerungen zum Thema Landwirtschaft stark fokussiert auf den unangebrachten Vorschlag für umweltbezogene Handelszertifikate. Frau Leadsome im Vorfeld Ihrer Vereidigung: "Es wäre viel sinnvoller, wenn jene mit den großen Feldern sich um die Schafe und jene am Hang sich um die Schmetterlinge kümmern würden." Unter dieser Vorgabe würden große Farmen mit hohen Erträgen von Umweltauflagen entlastet. Für diese wären dann die kleinen, auf marginalen Standorten wirtschaftenden Beitriebe zuständig. Die logische Konsequenz wäre, dass auf riesigen Flächen intensive, monokulturelle, die Biodiversität zerstörende Landwirtschaft betrieben werden würde. Maßnahmen zur Verbesserung von Landschaften, die Anpflanzung von Hecken und die Förderung von Vögeln würden auf riesigen Flächen des Landes unterminiert.

Schutz vor Pestiziden

Unsere ländlichen Gebiete benötigen jedoch mehr statt weniger Schutz. Die Zahlen zum Umweltstatus sind beeindruckend: Während der letzten 80 Jahre verlor Großbritannien über 97% der Wildpflanzenwiesen. Fast 121.000 km Hecken sind verschwunden (obwohl 30.000 km Hecken neu angepflanzt wurden). Während der letzten 40 Jahre reduzierten sich die empfindlichsten Arten um 77%. Das Vorkommen wild lebender Bestäuber ist rückläufig: Drei unserer 25 einheimischen Hummel-Arten sind ausgestorben. Die Ausbreitung von acht weiteren Arten ist stark rückläufig.

Zweifellos ist die intensive Landwirtschaft mit ihren starken Habitat-Veränderungen die treibende Kraft für diese Rückgänge, und Agrarchemikalien sind ein wesentlicher Faktor des Problems. Seit 1990 wurde die mit Pestiziden behandelte britische Landfläche fast verdoppelt, von 45 Mio. Hektar auf 80 Mio. Hektar.

Pestizide haben eine direkte Wirkung auf die Biodiversität. Viele der Pestizide sind giftig für Insekten, Vögel, Fische, Amphibien und Säugetiere. Ihre Exposition kann tödliche Vergiftungen verursachen. So können etwa Insektizide mit einem breiten Wirkungsspektrum nicht nur die Zielorganismen, sondern auch Nutzinsekten vernichten. Auch subletale Pestizid-Mengen können wirken, indem sie zum Beispiel das Nervensystem schädigen und Verhalten beeinflussen, sodass Individuen anfälliger für andere Gefahren werden.

Pestizide können aber auch die Nahrungsmittelverfügbarkeit reduzieren. Insektizide zerstören die Lebensgrundlage der von Insekten abhängigen Vögel, während Herbizide zum Beispiel einheimische Pflanzen und Habitate schädigen, von denen Tiere abhängig sind, die sich von Pflanzen und Saaten ernähren. In den letzten 25 Jahren ist der Herbizideinsatz um 75% angestiegen. Es ist kein Zufall, dass die Population der Vögel in der Agrarlandschaft kollabiert ist. Seit den 1970ern gab es in der Population der Rebhühner, der Grauammern und der Goldammern einen Rückgang zwischen 53 und 92 Prozent. Es ist bekannt, dass diese Farmland-Spezialisten unter dem Pestizideinsatz leiden.

Unterdessen werden durch Pestizid-Abschwemmungen unsere Wasser-Ressourcen kontaminiert. Jedes Jahr investieren Trinkwasserfirmen Millionen von Britischen Pfund, um Pestizide aus unserem Trinkwasser zu filtern. 2014 drohte in rund einem Viertel der Wasserschutzgebiete pestizidbedingt die Nichteinhaltung der rechtlich festgesetzten Standards.

Pestizide sind auch eine Gefahr für die menschliche Gesundheit. Viele der aktuell verwendeten Pestizide wurden mit ernsthaften Erkrankungen in Verbindung gebracht, einschließlich Asthma, Autismus, Geburtsfehlern, Diabetes, Parkinson, Alzheimer und Krebs.

Forschungsergebnisse der letzten fünf bis zehn Jahre aus den USA haben die Pestizidexposition von Bauernfamilien und Bewohnern ländlicher Regionen, die in der Nähe behandelter Felder leben, in einen Zusammenhang mit bestimmten Formen von Krebs und Reproduktionsstörungen sowie einer Reihe von Entwicklungsstörungen bei Kindern gebracht. Derartige detaillierte epidemiologische Langzeituntersuchungen fehlen in Großbritannien. Gleichwohl gibt es keinen Grund, selbstzufrieden anzunehmen, das gegenwärtige Pestizidkontrollsystem könne wirkungsvoll verhindern, dass die Pestizidexposition gefährliche Ausmaße annimmt, vor allem weil es praktisch keine Überwachung der Praxis des chemischen Pflanzenschutzes gibt.

Besonders ärgerlich ist, dass dieses Pflanzenschutzsystem, das Schäden und Zerstörungen verursacht, nicht einmal ökonomisch für die Bauern von Nutzen ist. Gerade einmal 20% der Bauern erhalten 80% der Subventionen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Profiteure sind vor allem die größten Betriebe, einschließlich vieler Firmen. Der Rest muss mit einem marginalen oder unsicheren Einkommen leben. Der Verdienst ist gering, und die Erzeugerpreise können oft nicht einmal die Produktionskosten decken. Hunderte von Bauern geben jedes Jahr ihre Betriebe auf. Etwa ein Drittel der Milchbauern hat allein in der letzten Dekade die Produktion eingestellt. Von denen, die weitermachen, sind viele gezwungen, einen Zweitjob anzunehmen. Die UK-Landwirtschaft steckt bereits seit geraumer Zeit in der Krise.

Unsere Vision

Es muss jedoch nicht so weitergehen. Wir bei PAN UK haben eine andere Vorstellung von der Zukunft der britischen Landwirtschaft. Wir wollen ein Agrarsystem, das Bauern ein gutes Leben ermöglicht und sie gleichzeitig dabei unterstützt, nachhaltiger zu produzieren. Wir wollen ein System, das es Bauern erleichtert, die Umwelt stärker zu berücksichtigen und die Abhängigkeit von Pestiziden zu reduzieren. Wir wollen einen Lebensmittelsektor und ein Agrarsystem, das zusätzliche Beschäftigung generiert, mehr lohnende Arbeitsplätze bereitstellt, bessere Bedingungen für Landarbeiter schafft und das soziale sowie das ökonomische Wohlergehen in ländlichen Gebieten erhöht.

Um dies zu erreichen, muss die Landwirtschaft Großbritanniens die starke Abhängigkeit von agrarchemischen Inputs und fossilen Brennstoffen abbauen und sich hin zu einer Landwirtschaft entwickeln, deren Methoden aus agrarökologischer Forschung resultieren und die weitaus besser als bisher ökologische Zusammenhänge und natürliche Ressourcen nutzt. Auf diese Weise kann die britische Landwirtschaft zum Nutzen der nächsten Generation von Bauern in ein sichereres, faireres und nachhaltigeres System umgebaut werden.

Sobald das Vereinigte Königreich die EU verlassen hat, wird die Gemeinsame Agrarpolitik nicht mehr gültig sein. Der Brexit verschafft uns die Möglichkeit, das GAP-System durch ein System zu ersetzen, das beiden hilft, den Bauern und den Ökosystemen, und das Subventionen mit effektiveren Maßnahmen für soziale und ökologische Verbesserungen verknüpft.

Das EU-System der Gemeinsamen Agrarpolitik stellt den britischen Bauern derzeit mehr als 3 Mio. Britische Pfund zur Verfügung. Für viele Bauern bedeutet dies einen essenziellen Beitrag zu ihrer Existenz, der oft mehr als die Hälfte der Einnahmen umfasst. Allerdings fließen weniger als 20% dieser ökonomischen Unterstützung in Sozial- und Umweltmaßnahmen. Der überwiegende Anteil der Gelder wird einfach nach Betriebsgröße verteilt: Je mehr Land man hat, desto mehr Geld bekommt man.

PAN UK fordert eine Neujustierung der Hilfsleistungen für bäuerliche Gemeinwesen und für den Umweltschutz (siehe unseren 5-Punkte-Plan). Wir wollen eine Beibehaltung der Subventionen, allerdings sollen sie denjenigen zugutekommen, die sie am meisten benötigen und die mit der Natur arbeiten.


PAN UKs 5-Punkte-Plan für eine nachhaltigere Landwirtschaft

  1. Subventionen zur Förderung ökologischerer landwirtschaftlicher Praktiken nutzen und Bauern dabei unterstützen, unsere ländlichen Gebiete zu schützen
    Großbritannien sollte sich von der an der Fläche orientierten Flatrate-Subventionierung wegbewegen, hin zur Förderung von landwirtschaftlichen Praktiken, die die Biodiversität erhöhen. Eine größere Palette von Feldfrüchten, unterschiedliche Anbausysteme, mehr Fruchtfolgen und kleinere Feldgrößen wird widerstandsfähigere und nachhaltigere Agrarsysteme schaffen, die dem Klimawandel besser gewachsen sind und die helfen, ihn zu bewältigen. Produktivität und Nachhaltigkeit müssen nicht im Konflikt zueinander stehen - es ist möglich, beides zu haben.
  2. Wirksame Regulierungen für den Pestizideinsatz verabschieden, einschließlich der Benennung von Zielen und der Schaffung von Anreizen für die Reduktion der Pestizidnutzung
    Es ist möglich, den Pestizideinsatz zu reduzieren und gleichzeitig das Niveau der Erträge und der Gewinne zu halten. Allerdings benötigen die Bauern Unterstützung und Anreize, um dies hinzubekommen. Großbritannien sollte ein nationales Ziel für die Pestizidreduktion festsetzen, die gefährlichsten Pestizide verbieten sowie risikoärmere und nicht-chemische Methoden zur Kontrolle von Schädlingen, Krankheiten und Unkräutern fördern.
  3. Bauern, die umweltfreundlichere Ansätze des Pflanzenschutzes - einschließlich Ökolandbau - praktizieren wollen, mit Training und praxisbezogener Forschung fördern< /br> Es sollte mehr in Forschung investiert werden, um nachhaltige Ansätze des Landbaus zu entwickeln und zu verbessern und um jene zu beraten, die bei deren Umsetzung helfen wollen.
  4. Diversifizierte Familien- und Kleinbetriebe unterstützen
    Subventionen sollten darauf ausgerichtet werden, einen sich entwickelnden diversifizierten Landbau-Sektor zu unterstützen, indem kleinere und mittelständische Betriebe - nicht nur das Agrobusiness - einen größeren Anteil an den Subventionen und größere Marktchancen erhalten. Dies wird Jungbauern ermutigen, im Agrarsektor zu bleiben, und den Trend zur Flucht aus diesem Sektor umkehren.
  5. Das Wachstum des Ökolandbaus unterstützen
    In Großbritannien erhalten Ökolandbau-Betriebe viel weniger Unterstützung als vergleichbare Betriebe auf dem europäischen Kontinent. Demzufolge umfasst die ökologische Produktion in Großbritannien, im Unterschied zu manchen EU-Ländern, wo sie bis zu 10% beträgt, lediglich rund 2%. Das neue System sollte mehr Hilfen bereitstellen, damit Bauern von konventioneller auf ökologische Landbewirtschaftung umstellen und die Nachfrage nach Bio-Produkten erhöhen können.

Sobald die britische Regierung den Ausstiegskurs aus der EU skizziert hat, müssen die Minister umfangreiche Konsultationen durchführen, um die beste Option für Großbritannien zu erarbeiten: für seine Bürger, für seine Ökonomie und für seine Umwelt. PAN UK steht bereit, um Teil eines Prozesses zu sein, der ein wirklich nachhaltiges Agrarsystem hervorbringt.


Autor: Dr. Keith Tyrell, PAN UK Direktor, Kontakt: keith@pan-uk.org
Originaltext: Brexit - Dark days ahead or a bright new future for UK agriculture? Erschienen in: Pesticides News, No. 104, August 2016
Übersetzung: Carina Weber, PAN Germany

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