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Verbote hormonaktiver Biozide und Pestizide weiter auf die lange Bank geschoben!

18.12.2013, PAN Germany Pestizid-Brief 15

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Laut EU-Recht müssen Pestizide und Biozide mit hormonschädigenden Eigenschaften (englisch: "endocrine disruptor chemicals", EDCs) von einer weiteren Verwendung in der Europäischen Union zum Schutz der Verbraucher und der Umwelt zukünftig ausgeschlossen werden. Um diese Verwendungsverbote umzusetzen, wurde die Europäische Kommission damit beauftragt, bis zum 13. Dezember 2013 wissenschaftliche Kriterien zur Identifizierung endokrinschädigender Eigenschaften vorzulegen. Statt dem nachzukommen, hat die Kommission nun ein Verfahren zur Abschätzung sozio-ökonomischer Folgen beschlossen. Umwelt- und Verbraucherschützer sowie skandinavische Umweltminister warnen vor dieser industriefreundlichen Verzögerungstaktik.

Die Frist des gesetzlichen Auftrags, bis spätestens zum 13. Dezember 2013 delegierte Rechtsakte zur Festlegung wissenschaftlicher Kriterien zur Bestimmung der endokrinschädigenden Eigenschaften von Wirkstoffen zu erlassen, ist verstrichen. Grundlage für diese Fristensetzung bilden die beiden EU-Verordnungen zu Bioziden (528/2012/EG) und Pestiziden (1107/2009/EG).

Seit mehreren Jahren widmen sich Wissenschaftler, Expertenausschüsse sowie europäische und nationale Fachbehörden der wichtigen Frage, wie EDCs identifiziert werden können, um sie dann zu regulieren. Im Falle der Biozide und Pestizide bedeutet dies das Ende ihrer Verwendung. Verschiedene Positionen wurden der EU-Kommission in dieser Zeit vorgelegt. Die Behörde wäre somit sehr wohl in der Lage gewesen, auf dieser Grundlage eine eigene Position zu erarbeiten und fristgerecht zumindest diese zu veröffentlichen. Stattdessen kündigte die Kommission überraschend im September 2013 eine Folgenabschätzung, ein so genanntes "Impact Assessment" an, in dessen Rahmen auch eine öffentliche Konsultation stattfinden soll. Auf dieser Grundlage würde die Behörde dann ihre Vorschläge für die EDC-Kriterien - voraussichtlich im Herbst 2014 - vorlegen.

Dies ist eine bislang einzigartige Prozedur, die offensichtlich der erfolgreichen Lobbyarbeit der Chemie- und Pestizidindustrie zu verdanken ist. Demnach sollen wissenschaftliche Kriterien zunächst hinsichtlich ihrer sozialen und ökonomischen Folgen (für wen?) bewertet werden, um dann "angemessene" Kriterien auszuwählen. Spätestens an dieser Stelle kann nach unserer Ansicht das "wissenschaftlich" getrost gestrichen werden. Die demokratisch abgestimmten Rechtstexte der Biozid- und Pestizid-Verordnung hatten mit ihren unmissverständlichen Vorgaben das Ziel verfolgt, genau dieses Lavieren entlang ökonomischer Interessen zu vermeiden und sich eindeutig zum Verzicht einer weiteren Nutzung dieser besonders bedenklichen Substanzen zu bekennen. Wie das Impact Assessment und die Konsultation konkret ablaufen soll, ist bislang unklar. Ein Zeitplan wurde noch nicht veröffentlicht.

Fest steht allerdings, dass weiterhin Arbeiter in den Produktionsstätten, professionelle Pestizid- und Biozidanwender, europäische Verbraucher und die Umwelt mit hormonschädigenden Pestiziden und Bioziden exponiert werden. Seit vielen Jahren betonen viele Experten und aktuell ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation, wie wichtig schnelle und wirksame Maßnahmen gegen die globale Belastung von Menschen und wildlebenden Tieren mit diesen hochgefährlichen Chemikalien sind (1).

PAN Europe hatte bereits vergangenes Jahr gemeinsam mit Global 2000 und PAN Germany in einem Bericht dargestellt, welche hormonaktiven Pestizidrückständen in Lebensmitteln zu finden sind und auf Haushaltsinsektizide und Inhaltsstoffe in Lebensmittelverpackungen hingewiesen, die unter dem Verdacht hormonschädigender Wirkungen stehen (2). PAN Germany hat sich zudem mit möglichen Langzeitfolgen auf professionelle Pestizidanwender und ihre Nachkommen in einer weiteren Übersichtsarbeit beschäftigt (3).

Auch die fehlende Regulierung hormonaktiver Biozide hat weitreichende Folgen, da dieses Defizit in viele andere EU-Gesetzgebungen wie die der EU-Kosmetikverordnung hineinwirkt. Unter die Biozidregulierung fallen u.a. alle Konservierungs-, Schutz- und Desinfektionsmittel in so genannten biozidbehandelten Waren. Darunter fallen zum Beispiel Körperpflegeprodukte und Kosmetika mit hormonell wirksamen Parabenen als Konservierungsmittel oder Kunststoffartikel, die als Konservierungsstoff oder Desinfektionsmittel Triclosan enthalten.

Ein Verwendungsverbot eines hormonell wirksamen Biozids würde mit einem Schlag alle Gegenstände, Farben, Pflege- und Reinigungsartikel betreffen, die mit diesem Wirkstoff behandelt wurden, ungeachtet, ob diese in der EU produziert oder von außerhalb importiert wurden. Die Hersteller müssten sich nach weniger bedenklichen Alternativen umschauen. Im Falle der Biozide gewährleisten Ausnahmeregelungen eine zeitlich begrenzte Weiterverwendung, sofern keine Alternativen zur Verfügung stehen. Die Ausnahmeklauseln greifen, wenn eine ernsthafte Gefahr bekämpft werden muss oder wenn die Nichtgenehmigung des Wirkstoffs unverhältnismäßige negative Folgen für die Gesellschaft hat.

Im Vergleich zu den Pestiziden beinhalten genau diese Ausnahmeregelungen bei den Bioziden bereits eine Folgenabschätzung per Gesetz. Es ist daher im Falle der Biozide noch weniger nachvollziehbar, warum die EU-Kommission im Vorfeld der Kriterienfestsetzung ein Impact Assessment durchführen möchte und damit eine erhebliche Verzögerung in der Stoffregulierung in Kauf nimmt. Dies kritisieren auch der dänische und der schwedische Umweltminister in einem Brief an den EU Kommissar für Umwelt Janez Poto?nik. Sie fordern darin keine weiteren zeitlichen Hemmnisse zuzulassen. Sie begründen dies auch mit Blick auf das gerade vereinbarte 7. Umwelt-Aktionsprogramm, das ebenfalls für effiziente Maßnahmen gegenüber EDCs in allen EU-Legislativen eintritt. (4)

Zwar sind in der Biozid-Verordnung Übergangskriterien für EDC-Eigenschaften festgesetzt worden, so dass auf den ersten Blick eine zeitliche Verzögerung nicht so gravierend erscheint. Aber auch hier soll offenbar dem Verordnungstext auf unbestimmte Zeit nicht gefolgt werden. Aus einem Dokument der Kommission für den Ausschuss der zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten ("competent authorities", CA) vom Dezember 2013 geht hervor, dass im Rahmen des laufenden Reviewprogramms Wirkstoffe als endokrinschädigend bewertet werden sollen, die als reproduktionstoxisch plus kanzerogen der Gefährdungsklasse 2 (R2 und C2) einzustufen sind. Allerdings soll das zweite wichtige Übergangskriterium reproduktionstoxisch (R2) plus toxischer Wirkung auf endokrine Organe nach dem Dokument "für den Moment" nicht berücksichtigt werden.(5)

Noch ein weiterer Aspekt bleibt zu bedenken. Da bislang kein Rechtsakt europäische EDC-Ausschlusskriterien für Biozide und Pestizide festlegt, ist zu befürchten, dass das dahinter stehende Prinzip der gefahrenbasierten Stoffregulation umso einfacher Verhandlungsmasse des Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU werden könnte. Unter dem Druck der USA könnte es zu deutlichen Rückschritten bei der Umsetzung des Vorsorgeprinzips in der EU kommen.

(Susanne Smolka, PAN Germany)

Quellen

(1) WHO, UNEP (2013): State of the Science of Endocrine Disrupting Chemicals 2012 - Summary for decision makers: http://www.unep.org/hazardoussubstances/Portals/9/EDC/SOS%202012/EDC_summary_report.pdf

(2) PAN Europe, PAN Germany, Global 2000 (2012): Hormone im Essen: Endokrin wirksame Pestizide in Nahrungsmitteln der Europäischen Union: http://www.pan-germany.org/download/ED_Pestizide.pdf

(3) PAN Germany (2013): Endokrine Wirkungen von Pestiziden auf Landarbeiter, insbesondere auf Beschäftigte in Gewächshauskulturen und Gärtnereien: http://www.pan-germany.org/download/pan_studie_endokrine_pestizide_1303.pdf

(4) Letter to Commissioner for the Environment Mr Janez Poto?nik, 7 October 2013: http://www.chemsec.org/images/stories/2013/news/Letter_to_Cion_EDC_biocides_DK_SE_7_October_13_FINAL.pdf

(5) Europäische Kommission (2013): Principles for the approval of AS - Final, CA-Dec13-Doc.3.0a : https://circabc.europa.eu/w/browse/85cf24d4-e4d3-4b34-b59d-7a69394d0942 (vgl. Kap. 4, S. 5)

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