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Überprüfung von Chlorpyrifos angekündigt

31.10.2012, Susanne Smolka

Aufgrund neuerer wissenschaftlicher Befunde kündigt die Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz der EU Kommission die Überprüfung der Genehmigung für Chlorpyrifos an1. Damit wird zum ersten Mal ein Pestizid-Wirkstoff innerhalb seines Genehmigungszeitraums einer umfassenden Überprüfung unterzogen und eine wiederholte Forderung von PAN endlich umgesetzt1 .

Chlorpyrifos ist eines von wenigen Organophosphaten, die noch in der EU als Pestizide eingesetzt werden. Verwendet wird das Insektizid z.B. im Wein- und Kartoffelanbau. In Deutschland sind derzeit zwei Mittel der Firmen Scotts Celaflor GmbH und der Neudorff GmbH KG gegen Ameisen und Fliegen im Gemüseanbau und bei Zierpflanzen für den Haus- und Kleingartenbereich zugelassen. Als Biozid, also als Haushaltsinsektizid, ist Chlorpyrifos seit August 2008 in der EU nicht mehr verkehrsfähig. In den USA ist Chlorpyrifos für nicht-landwirtschaftliche Anwendungen in Haus und Garten bereits seit 2001 verboten.

Die Neubewertung von Chlorpyrifos nach EU-Pestizidrecht dauerte rund 5 Jahre, bis auf Grundlage eines Prüfdossiers im Jahr 2005 der Wirkstoff für weitere 10 Jahre bis 2016 als Pestizid genehmigt wurde. Möglich wurde diese Entscheidung auf Grundlage eines sehr fragwürdigen Rechtskonstrukts. In einer Art provisorischer Genehmigung wird die weitere Vermarktung und Verwendung des Wirkstoffs zwar erlaubt, der Antragsteller - in diesem Falle DOW AgroSciences - wird jedoch verpflichtet, weitere Daten beizubringen ("confirmatory data"). Im Falle von Chlorpyrifos fehlten Daten, um die Risiken für Säugetiere und Vögel abschätzen zu können. Diese sollten von dem Agrokonzern bis 2008 vorgelegt werden. Die Regelung gestattet es bei unzureichender Datenlage, den Marktinteressen des Herstellers Vorrang vor den Schutzinteressen von Verbrauchern und Umwelt einzuräumen.

Nach Vorlage der zusätzlichen Daten wurde die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA mit einer Überprüfung der Bewertung des berichterstattenden Mitgliedsstaates Spanien - der sich für die weitere Verwendung von Chlorpyrifos stark macht - beauftragt. Die EFSA kam zu dem Ergebnis, dass eine sichere Verwendung des Wirkstoffs nicht abgeleitet werden kann, da hohe akute Risiken für Vögel und kleine pflanzenfressende Säugetiere und hohe Risiken für Langzeitschäden bei Säugetieren nicht ausgeschlossen werden können. Um fischfressende Vögel und Säugetiere besser zu schützen empfahl die EFSA bereits im vergangenen Jahr, den Einsatz von Chlorpyrifos in Schutzzonen entlang von Gewässer zu unterbinden2 .

Abgesehen von diesen neuen Bewertungen zeigt sich Chlorpyrifos als bedeutender Umweltschadstoff. Er ist langlebig, reichert sich in Lebewesen an und wird über weite Entfernungen transportiert. So ist Chlorpyrifos mittlerweile überall in der Umwelt nachweisbar, in Lebensmitteln, Lebewesen, in der Luft, in Gewässern, Sedimenten und sogar in der Arktis3 . Kurzum Chlorpyrifos erfüllt die Kriterien eines so genannten POP (persistent organic pollutant), was eher für ein globales Verbot spricht, als für einen weiteren Einsatz in der Landwirtschaft oder durch nicht-sachkundige Laien in Kleingärten.

Besorgniserregend sind auch neuere Studien aus den USA, die Hinweise auf schwerwiegende Gesundheitsschäden liefern. So ist die Entwicklungsneurotoxizität von Chlorpyrifos im Labortest nachgewiesen und der Wirkstoff steht unter dem Verdacht hormonell wirksam zu sein. Im aktuellen Fokus stehen langjährige epidemiologische Arbeiten des unabhängigen Forscherteams um Virginia Rauh, das zu neurologischen Entwicklungsschäden nach pränataler Chlorpy-rifos-Exposition bei Kindern arbeitet. Unter anderem konnten die Wissenschaftler zeigen, dass unter normalen Expositionssituationen strukturelle Veränderungen im Gehirn auftreten können und Schädigungen bei Mädchen irreversibler verlaufen als bei Jungen (Studien zitiert in 1).

Zu einer aktuellen Publikation von Rauh et al. nahm das BfR im Mai 2012 Stellung. Die Bundesbehörde kritisierte methodische Mängel der epidemiologischen Studie und nannte die Befunde "wissenschaftlich fragwürdig"4 . PAN Germany zeigte sich in einem offenen Brief an das BfR "irritiert" über die Stellungnahme, da zumindest den vorliegenden Hinweisen nachgegangen werden sollte (s. PAN-Brief und Antwortschreiben des BfR auf der PAN-Website).

Demgegenüber berücksichtigt die US-amerikanische Environmental Protection Agency EPA sehr wohl die Ergebnisse des Forscherteams in seiner 2011 veröffentlichten vorläufigen Bewertung des Risikos für die menschliche Gesundheit, das aus dem Acetylcholinesterase(AChE)-hemmenden Potential von Chlorpyrifos resultiert5 . Außerdem enthält die EPA-Bewertung noch weitere aktuelle Laborstudien, die der EU im Jahr 2005 noch nicht vorlagen. Nach Sichtung der EPA-Bewertung empfahl daher das BfR im Juni 2012 die "Überprüfung der toxikologischen Referenzwerte (ARfD, ADI) für Chlorpyrifos". Anschließend, so das BfR, solle eine Risikobewertung unter Verwendung aktueller Daten zur Exposition von Verbrauchern und Anwendern vorgenommen werden6 . PAN Europe hatte bereits im Juni 2011 und jüngst im September 2012 an Gesundheits-Kommissar John Dalli schriftlich eine Überprüfung des Wirkstoffs gefordert und für ein generelles Verwendungsverbot von Chlorpyrifos plädiert. Der erste Schritt wurde nun von der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz getan, indem sie die Überprüfung Chlorpyrifos-Genehmigung ankündigte.

(Susanne Smolka)

1 PAN Europe (2012): Brain-damaging pesticide Chlorpyrifos will be reviewed.EU Health Commissioner Dalli finally responds to calls of PAN-Europe. Press Release, 09.10.2012
2 EFSA Journal 2011, 9 (1), S.1961
3 Watts, M. (2012): Chlorpyrifos as a possible global POP. Pesticide Action Network North America (PANNA), August 2012
4 BfR-Stellungnahme Nr. 021/2012
5 US EPA (2011): Chlorpyrifos Preliminary Human Health Assessment for Registration Review. Document ID: EPA-HQ-OPP-2008-0850-0025
6 BfR-Stellungnahme Nr. 026/2012

Aus: PAN Germany Pestizid-Brief September/Oktober 2012

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