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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Tierarzneimittel in der Umwelt - ein Grund zur Sorge

31.10.2012, PAN Germany, Susan Haffmans

Arzneimittel sollen helfen, heilen und lindern. Doch was passiert, wenn sie in die Umwelt geraten? 274 unterschiedliche Human- und Tierarzneimittel konnten bislang im Ablauf von Kläranlagen, im Klärschlamm, in Gewässern, Böden und Sedimenten nachgewiesen werden1. Für das Gros der Substanzen fehlt bislang eine Bewertung ihrer Umweltrisiken. Die Überarbeitung der rechtlichen Regelungen auf europäischer Ebene bietet nun die Möglichkeit, hier Verbesserungen zu erwirken.

Vor allem aus der intensiven Tierhaltung gelangen große Mengen an Arzneimitteln, darunter Mittel gegen Parasiten, gegen Infektionen (z.B. Antibiotika) und immunologische Mittel in die Umwelt. Der Hauptanteil der Tierarzneimittel wird in der Tiermast eingesetzt2. Über die Ausscheidungen der Tiere gelangen die Tierarzneimittel in die Umwelt. Die Konzentrationen von Tierarzneimitteln in Wirtschaftsdünger liegen bei 50% bis 80% des eingesetzten Wirkstoffs3. Dies stellt vor dem Hintergrund fehlender Daten zum Einsatz von Tierarzneimitteln, einer lückenhaften Umweltbewertung und nicht ausreichend etablierter umweltbezogener Risikomanagement-Strategien beim Einsatz von Tierarzneimitteln ein erhebliches Problem für den vorsorgenden Umweltschutz dar.

Mehr als 150 verschiedene Arzneimittelwirkstoffe konnten in deutschen Oberflächengewässern, Sedimenten, im Grundwasser und in Böden nachgewiesen werden. Viele dieser Stoffe haben ein hohes Potential, Fische und Kleinstlebewesen zu schädigen4.

Weder die europäische Wasserrahmenrichtlinie noch die europäische Trinkwasserrichtlinie (98/83/EG) noch die deutsche Trinkwasserverordnung schreiben derzeit Grenzwerte für Tierarzneimittel oder Humanarzneimittel vor. Für sie und andere bisher nicht bewertete Stoffe gilt der von der deutschen Trinkwasserkommission empfohlene, nicht toxikologisch abgeleitete und nicht verbindliche Vorsorgegrenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Doch dass auch Arzneimittelrückstände in Gewässern ein zunehmendes Problem darstellen, wurde erkannt. Erstmals liegt der Vorschlag vor, drei Humanarzneimittel in die Liste der sogenannten "prioritärer Stoffe" aufzunehmen. Prioritäre Stoffe sind gewässerrelevante Schadstoffe, die aufgrund ihrer Gefährlichkeit und ihrer gemessenen Gewässerkonzentrationen als besonders problematisch eingestuft wurden und für die im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie spezifische

Qualitätsnormen und Emissionsbegrenzungen festgelegt werden sollen5.

Hier ist man im Bereich der Lebensmittel weiter. Vor einer Zulassung werden die pharmakologisch wirksamen Stoffe einer gesundheitlichen Risikobewertung unterzogen und festgelegt, wie viel Rückstand von einem Wirkstoff höchstens in einem Lebensmittel enthalten sein darf. Diese "Maximum Residue Limit"-Werte (MRL) sind laut Gesetzgeber so festgelegt, dass ein Mensch durch den Verzehr von Lebensmitteln mit Rückstandsmengen unterhalb des MRL auch bei lebenslanger Aufnahme keinen erkennbaren gesundheitlichen Schaden erfährt. Dieses Konzept wird auch bei Pestiziden angewendet5. Doch auch wenn die regulatorischen Defizite im Bereich Nahrungsmittelrückstände geringer sind als im Umweltbereich, gibt es auch hier ernst zu nehmende Defizite, die sich auch auf den Umweltbereich übertragen lassen. Problematisch ist u.a., dass Kombinationswirkungen mehrerer verschiedener Rückstände nicht berücksichtigt werden, obgleich Wechselwirkungen oder Wirkungsverstärkungen möglich sind.

Bei der angelaufenen Überarbeitung der rechtlichen Regelungen zu Tierarzneimitteln setzt sich die Pharmaindustrie für ein vereinheitlichtes und vereinfachtes Zulassungsverfahren ein, ohne Anforderungen an Umwelt- oder Rückstandsprüfung von bereits auf dem Markt befindlichen Altprodukten. Demgegenüber steht das Interesse von PAN Germany, dem Schutz der Umwelt im gesamten Prozess der Zulassung einen hohen Stellenwert einzuräumen und auch Tierarzneimittel, die bereits auf dem Markt sind, einer Umweltprüfung zu unterziehen. Immerhin werden im Rahmen der Zulassung neue Tierarzneimittel sowie alte Wirkstoffe die neu als Generika zugelassen werden sollen einer Risikobewertungen für das Umweltverhalten unterzogen. Doch eine große Zahl von Altwirkstoffe, die seit Jahren bzw. Jahrzehnten eingesetzt und in die Umwelt entlassen werden, hat nie eine ökologische Risikoanalyse durchlaufen. Für sie fehlen Informationen zu ihrem Umweltverhalten und ihrer Ökotoxizität. In anderen Rechtsbereichen wie bei den Pestiziden und Bioziden werden so genannte Reviewprogramme für Alt-Wirkstoffe bereits seit längerem durchgeführt und Wirkstoffgenehmigungen i.d.R im Intervall von 10 Jahren geprüft. Diese Konzepte gewährleisten, dass alle auf dem Markt befindlichen Wirkstoffe nach den gleichen Maßstäben und dem aktuellem Stand der Wissenschaft auf ihre Wirksamkeit und ihre Gesundheits- und Umweltrisiken hin überprüft werden. Dieses Verfahren hat sich bewährt, um eine EU-weite Harmonisierung zu erreichen und um besonders umwelt- oder gesundheitsbedenkliche Stoffe zu identifizieren und vom Markt zu nehmen. PAN Germany fordert, dass in Übereinstimmung mit anderen europäischen Produkt-Regelungen (Pestizide, Biozide, Industriechemikalien) auch bei der Zulassung von Tierarzneimitteln Entscheidungen über die Zulassung von Produkten auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden und alle Wirkstoffe einer Überprüfung nach aktuellen Stand der Wissenschaft unterzogen werden sollten. Zudem gilt es, die Daten-Transparenz für die Öffentlichkeit zu verbessern und bei Bewertungen und Entscheidungen die Ergebnisse aus dem Umwelt-Monitoring besser zu berücksichtigen.


1 Bayerisches Landesamt für Umwelt (2008): Austrag von Tierarzneimitteln aus Wirtschaftsdünger in Sickerwasser, Grundwasser und oberirdische Gewässer.
2 Bund/Länderausschuss für Chemikaliensicherheit (2003): Arzneimittel in der Umwelt. Auswertung der Untersuchungsergebnisse. http://www.blac.de/servlet/is/2146/P-2c.pdf
3 Landesumweltamt Brandenburg (o.J.): Tierarzneimittel in der Umwelt. Erhebung von Tierarzneimittelmengen im Land Brandenburg für den Zeitraum von Juli 1998 bis Juni 1999
4 IWW (2011): Zusammenstellung von Monitoringdaten zu Umweltkonzentrationen von Arzneimitteln.
5 Grüne Liga. Informationsblatt zu Prioritären Stoffen www.wrrl-info.de/docs/tafel5_a3.pdf
6 Jahresbericht 2010 zum Nationalen Rückstandskontrollplan (NRKP) www.bvl.bund.de

Aus: PAN Germany Pestizid-Brief September/Oktober 2012

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