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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Pestizid-Abdrift nicht einfach hinnehmen

30.04.2012, PAN Germany, Susan Haffmans

Die Spritzsaison hat begonnen. Über 1200 Pestizid-Produkte stehen in diesem Jahr für die Anwendung im Ackerbau, im Gemüse- und Obstanbau, im Zierpflanzenanbau und im Forst zur Bekämpfung von Insekten, Pilzen und zur Beseitigung von ungewolltem Bewuchs zur Verfügung1. Ein bekanntes Problem bei der Ausbringung von Pestiziden ist die Abdrift des feinen Sprühnebels auf angrenzende Flächen. Immer wieder melden sich betroffene Menschen bei PAN und berichten über gesundheitliche Beeinträchtigungen, über Schäden an ihren Pflanzen und über ihr Gefühl, der Pestizid-Abdrift hilflos ausgeliefert zu sein. Ende Februar lud PAN daher Mitgliedsorganisationen und Betroffene sowie Vertreter der Zulassungsbehörden zu einem Fachgespräch ein, um über das Thema zu beraten. Hier wurde für PAN erneut deutlich: Die Betroffenen vor Ort brauchen Unterstützung.

Von Pestizid-Abdrift kann jeder betroffen sein. Über Abdrift gelangen Pestizide auf Obst und Gemüse in Gärten von Anrainern und auf Spielflächen von Kindern. Menschen, die sich gern in der Natur aufhalten - Spaziergänger, Jogger oder Radfahrer, können in den Sprühnebel frisch behandelter Felder geraten. Bio-Betrieben, die in direkter Nachbarschaft zu konventionellen Betrieben liegen, sind Anbaufrüchte durch Pestizid-Abdrift von Nachbarflächen kontaminiert worden.

Dass der feine Sprühnebel nicht nur auf den zu behandelten Ackerpflanzen landet, sondern auch vom Feld in benachbarte Gärten, auf angrenzende Flächen, auf Wege, in Gebüsche und Gehölze sowie Gewässer transportiert wird, und dort Schäden verursachen kann, ist seit Jahren bekannt. Ein Beispiel sind Schäden durch Clomazone-Abdrift. Clomazone ist ein herbizider Wirkstoff, der unter anderem im Rapsanbau eingesetzt wird. Er wird drei Tage nach der Rapssaat gespritzt, um unerwünschte Kräuter und Gräser abzutöten. Clomazone kann nicht nur in Form feiner Tröpfchen auf andere Flächen verweht, sondern zudem durch seinen hohen Dampfdruck über Verflüchtigung und Deposition verfrachtet werden. So kommt es vor allem bei feucht-warmem Wetter und in Gegenden mit viel Rapsanbau zum ungewollten Ausbleichen (Bleaching) von Pflanzen auf benachbarten Flächen. 2001, 2004 und 2011 gab es Meldungen über Spritzschäden durch Abdrift in Bio-Kulturen und Meldungen über gesundheitliche Probleme von Anwohnern aus Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen.

Sind Bio-Betriebe betroffen, ist der Schaden oft weit größer als der direkte Ertragsausfall. Die Bio-Betriebe müssen die zuständigen Landesämter informieren, mit dem Verursacher (Nachbarlandwirt) reden, Schadensersatz einfordern, die Öko-Kontrollstelle informieren, Händler und Kunden informieren, ggf. Gemüsekisten und Wochenmarktstände absagen und vieles mehr. Entschädigt werden nur nachgewiesene wirtschaftliche Schäden, also nur der Ertragsausfall der betroffenen Kultur. Im Fall von Clomazone also nur die Kulturpflanzen, die Aufhellungen aufweisen.

Zu Schäden durch Abdrift kommt es offensichtlich auch trotz Einhaltung der so genannten guten fachlichen Praxis (gfP). Für die Entschädigung ist es laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nicht erheblich, ob die gfP eingehalten wurde oder nicht. Der konventionelle Landwirt, der den Spitzschaden verursacht hat, muss zahlen. Vertrauensverlust in die Bio-Produktion und die Kontamination der Bio-Flächen durch abgedriftete Pestizide werden nicht entschädigt. Auch für Schäden an Wildpflanzen wie Hecken, sowie an Rosen oder Zierpflanzen gibt es keine Entschädigung. Kleine Bio-Betriebe, die umgeben von riesigen konventionellen Flächen liegen, fragen sich zu Recht, wie ihre Existenz gesichert werden kann.

Doch bei der Abdrift geht es nicht nur um wirtschaftliche Verluste und Schäden an anderen Pflanzen. Es geht auch um erlittene gesundheitliche Probleme, wie Kopfschmerzen, Schwindel, Hautreizungen und Atemwegserkrankungen. Für die Betroffenen ist es diesbezüglich fast unmöglich, nachzuweisen, dass die erlittenen gesundheitlichen Probleme durch die Abdrift eines bestimmten Pestizids verursacht werden. Dies war auch immer wieder im Fall Clomazone so. Die Zulassungsbehörden konnten nicht bestätigen, dass die von den Betroffenen beschriebenen Effekte an Clomazone liegen.

Bevor ein Pestizid-Produkt zugelassen wird, werden Exposition und Umweltverhalten geprüft. Die Zulassung sieht nicht vor, dass Expositionen grundsätzlich auszuschließen sind, sondern es geht darum, dass Exposition und Rückstände keine schädlichen Auswirkungen haben dürfen. Die Behörden sind nach eigener Aussage gehalten, Expositionen ohne "schädliche Auswirkungen" zu akzeptieren. Im Fall von Clomazone ergaben die Expositionsabschätzungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), dass der zulässige Grenzwert nicht einmal zu 10% ausgeschöpft wird. Die Untersuchungsergebnisse der Behörden stimmten somit nicht mit den erlebten Problemen vor Ort überein. Doch wie soll man mit der Diskrepanz zwischen den Prüfergebnissen der Zulassungsbehörden und den vor Ort erlittenen Beschwerden umgehen? Für Betroffene, die durch den Pestizideinsatz gesundheitliche Schädigungen erleiden, ist es sehr schwierig, ernst genommen zu werden und Hilfe zu bekommen.

Wenn, wie im Fall Clomazone, die Expositionsuntersuchungen ergeben, dass der Wirkstoff allein vielleicht nicht für die Gesundheitsschäden verantwortlich sein kann, was ist es dann? Denkbar ist, dass es nicht der Wirkstoff ist, sondern dass Beistoffe oder Beistoff-Wirkstoff-Kombinationen oder Kombinationswirkungen verschiedener Wirkstoffe zu den gesundheitlichen Problemen führen. Gern wird gerade von Pestizidherstellern die These verbreitet, dass die "in der Landwirtschaft eingesetzten Chemikalien [...] zu den am genauesten untersuchten Substanzen überhaupt" zählen2. Doch geht man ins Detail, zeigt sich, dass die Produktbewertung erhebliche Defizite aufweist. Lücken gibt es beispielsweise im Zusammenhang mit der Bewertung von Kombinationswirkungen. Auch entziehen sich Produktbestandteile, die weniger als 10% des Produkts ausmachen, einer Risikobewertung, und Bewertungen der Langzeittoxizität finden lediglich für die Wirkstoffe, jedoch nicht für die Präparate statt. Doch zurück zum Problem der Pestizid-Abdrift.

Pestizid-Abdrift melden

Den Bundesbehörden fehlt es nach eigenen Angaben an verlässlich dokumentierten Schadensfällen, und den Betroffenen fehlt es an Hilfestellung im Schadensfall. Ist ein Pestizid-Produkt erst einmal zugelassen, kehrt sich die Beweislast um. Nicht mehr der Zulassungsnehmer, sondern die Behörde muss nun beweisen, dass das Produkt "unzumutbare negative Auswirkungen" verursacht. Um dies tun zu können, sind gut dokumentierte Schadensfälle notwendig. Doch nicht jeder Geschädigte dokumentiert und meldet den Schaden und nicht jeder der den Landesbehörden bekannten Fälle wird an die Bundesbehörde weitergeleitet. So entsteht ein falsches Bild von den tatsächlichen Schäden vor Ort. Zwar klagen die Bundesbehörden über diese "unsystematische Befundlage", doch schnelle Hilfe durch die Angabe eines behördlichen Ansprechpartners, an den sich Betroffene im Schadensfall per E-Mail wenden können, gibt es nicht und auch der Aufbau einer zentralen Anlaufstelle für Betroffene ist nicht geplant. Wen wundert es, wenn Zweifel daran aufkommen, ob ein ernsthaftes behördliches Interesse besteht, Pestizid-Abdrift-Schäden systematischer dokumentieren zu wollen.

PAN Germany möchte dazu beitragen, dass Schäden durch Pestizid-Abdrift dokumentiert werden und dadurch zu mehr Transparenz beitragen. Dazu hat PAN Germany einen einfachen Meldebogen erstellt, der online auf der PAN Germany Website zum Download zur Verfügung steht 3 und den wir Ihnen auf Anfrage auch gern per E-Mail oder per Post zusenden. Der "Meldebogen Pestizid-Abdrift" ist kein Ersatz für die Meldung bei der zuständigen Landesbehörde, und er dient nicht dazu, Schadensersatz einzuklagen. Vielmehr geht es PAN darum, zum einen die Dokumentation der Fälle zu unterstützen, weil wir wissen, dass den Behörden Fälle nicht bekannt werden. Zum anderen will PAN dazu beitragen, dass Fälle von Schäden durch Pestizid-Abdrift gesammelt werden, um so die politische Befassung mit diesem Problem voranzutreiben.

(Susan Haffmans)

1 https://portal.bvl.bund.de/psm/jsp/ Datum der Abfrage 26.3.2012
2 http://www.presse.bayercropscience.com/ bcsweb/cropprotection.nsf/id/DE_7UVN2Y_Forschung_Entwicklung, letzter Aufruf 27.03.12
3 Der Meldebogen Pestizid-Abdrift kann von www.pan-germany.org heruntergeladen werden oder bei PAN Germany (Tel. 040-3991910-0) bestellt werden



Aus: PAN Germany Pestizid-Brief März/April 2012

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