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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Neues EU-Biozidrecht: Umweltverbände beklagen vertane Chancen

19.01.2012, Gemeinsame Presseerklärung PAN Germany, HEAL, PAN Europe, WECF und PAN UK

+++ Sperrfrist: 19.01.2012, Plenarabstimmung des EU-Parlaments zur Biozid-Verordnung, voraussichtlich 12:00 Uhr +++

Download der Presseinformation vom 19.01.2012 (pdf-file, 30 kb)

Hamburg/Brüssel, 19.01.2012
Die heute vom Europaparlament verabschiedete Biozid-Verordnung (1) scheint ambitioniert. Europäische und deutsche Umwelt- und Verbraucherschutzverbände befürchten jedoch, dass notwendige Fortschritte für den Umwelt- und Gesundheitsschutz ausbleiben.

Die neue Gesetzgebung schließt die weitere Zulassung von Bioziden mit krebserregenden, erbgutverändernden, fortpflanzungsschädigenden, hormonschädigenden oder stark umweltgefährlichen (2) Eigenschaften in der EU aus. Allerdings schwächen viele Rückausnahmen diese Zulassungsverbote. Die Ausnahmeregeln reichen dabei wesentlich weiter als die 2009 für gefährliche Pestizide beschlossenen (3). Außerdem werden keine Substitutionspläne verbindlich vorgeschrieben, die den Ausstieg aus der Verwendung dieser gefährlichen Stoffe unterstützen, kritisieren das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) Germany, PAN Europe and PAN UK, die Health and Environment Alliance (HEAL) und Women in Europe for a Common Future (WECF).

Susanne Smolka, Biozidexpertin von PAN Germany: "Wir sind besorgt über diese weit auslegbaren Ausnahmeregelungen und über das Fehlen von Substitutionsplänen, da so die Tür für die anhaltende Verwendung dieser gefährlichen Substanzen weit offen gehalten wird. In der Umsetzung wird es jetzt wichtig sein, die Öffentlichkeit zu beteiligen, um den Einsatz dieser hochgefährlichen Stoffe streng zu begrenzen."

Die Verbände sind enttäuscht darüber, dass der neuen Verordnung eine klare Ausrichtung hin zu einer nachhaltigen, dem Minimierungsgebot folgenden Verwendung von Biozid-Produkten fehle. "Es ist sehr bedauerlich, dass die Mehrheit der Mitgliedsstaaten Vorgaben im Gesetz blockiert hat, die die erheblichen Datenlücken zum EU-Biozidmarkt, zur Verwendung und zu den Belastungen durch Biozide hätten schließen und einen harmonisierten Gesetzesrahmen für die Verwendungsphase hätten initiieren können. Wir fordern die EU Kommission auf, sich schnellst möglich dieser Probleme anzunehmen", so die PAN-Biozidexpertin. (4)

Über die tatsächliche Größe des europäischen Biozidmarkts herrscht Ungewissheit und es gibt keine Vorschriften in der Verordnung, dies auf EU-Ebene zu ändern. Im Vergleich dazu sieht das Pestizidrecht die Entwicklung von Plänen für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden im Pflanzenschutz vor und regelt die zeitnahe, einheitliche Erhebung von Markt- und Verwendungsstatistiken.

Gesundheitsexperten der Verbände sind besorgt, dass die Regelungen für einen Schutz der menschlichen Gesundheit nicht weit genug gehen. "Die neue Biozid-Verordnung bietet zu wenig Fortschritte für den Gesundheitsschutz. Besonders den wissenschaftlichen Hinweisen auf den Zusammenhang zwischen Antibiotika-Resistenzen und de ungezügelten und steigenden Einsatz von Bioziden wird keine Rechnung getragen", kritisiert Anne Stauffer, stellvertretende Geschäftsführerin der Health and Environment Alliance (HEAL). "Wir glauben, dass Verbraucher viel besser über die alltägliche Präsenz von Bioziden in vielen Gebrauchsprodukten, wie in Hygieneprodukten oder antibakteriellen Reinigungsmitteln informiert sein sollten und welche Alternativen es gibt", so die Expertin weiter.

Biozid-Produkte können hormonell wirksame Substanzen enthalten, die zukünftig nicht mehr zugelassen werden dürfen. Ihre gesundheitsschädigenden Eigenschaften werden stetig durch neue wissenschaftliche Studien untermauert. Eine schnelle Lösung sei nach Anne Stauffer jedoch nicht in Sicht, da zunächst die Europäische Kommission aufgefordert sei, entsprechende Kriterien für die Identifizierung dieser Umwelthormone festzulegen.

"Die Verordnung formuliert viele notwendige Maßnahmen für den Gesundheitsschutz, aber durch die vielen Ausnahmeregeln und das Fehlen von Maßnahmen zur Reduzierung des Biozideinsatzes, besteht das Risiko, dass die guten Ansätze kaum spürbar werden", so Anne Stauffer.

Positiv hervorzuheben sind die Verbesserungen bei der Verbraucherinformation. So werden neue Kennzeichnungsvorschriften für Biozid-Produkte mit Nanomaterialien und für Gegenstände, die mit Bioziden ausgerüstet sind, festgeschrieben. Zusätzlich soll den besonderen Eigenschaften von Nanobioziden durch eine für sie zugeschnittene Risikoanalyse angemessen Rechnung getragen werden. Aus Sicht der Verbände ist dies ein wichtiger und vorbildlicher Schritt, um auf die möglichen neuen Risiken der Nanotechnologie zu reagieren.

(543 Wörter, 4.403 Zeichen mit Leerzeichen)


Weitere Kommentare der Verbände:

"Es sind noch immer zu viele Verbraucher zu wenig darüber informiert, in wie vielen Alltagsprodukten Biozide enthalten sind, was Biozide sind und wo sie überall mit ihnen in Kontakt kommen. Im Vergleich dazu gibt es ein wesentlich größeres Bewusstsein für die möglichen Gesundheits- und Umweltrisiken von Pestiziden. Bedenklich sind die Hinweise auf den möglichen Beitrag steigender Biozidverwendung an der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen", sagt Elisabeth Ruffinengo vom WECF. "Wir hoffen, dass die europäischen Verbraucher die neuen vorgeschriebenen Produktinformationen nutzen, um bedenkliche Biozid-Produkte zu vermeiden und biozidfreie Alternativen zu bevorzugen. Wir begrüßen zudem, dass nun die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet werden, Informationen zu den Risiken und zur Vermeidung von Biozid-Produkten für die Öffentlichkeit bereitzustellen."

"PAN Europe konnte nachweisen, dass viele Mitgliedsstaaten ausgiebig Ausnahmeklauseln im europäischen Pestizidrecht nutzen, um nicht mehr verkehrsfähige Pestizide im Pflanzenschutz weiterhin einzusetzen. Damit werden weiterhin Risiken für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt in Kauf genommen. Aus dieser Problematik sollte auch der Biozidbereich seine Lehren ziehen. Konkret bedeutet dies die Forderung nach umfassender Transparenz bei entsprechenden Entscheidungsprozessen und der garantierte, zeitnahe Zugang zu Informationen für die Öffentlichkeit, so Hans Muilerman vom PAN Europe. "Wir erwarten zudem ein starkes Engagement bei der Entwicklung von Kriterien für hormonaktive Substanzen in der EU. Dabei müssen unabhängige, überprüfte wissenschaftliche Studien mit einbezogen werden. Letzteres wurde in der neuen Biozid-Verordnung nicht festgeschrieben", kritisiert Hans Muilerman.


Informationen für Journalisten:
  1. Dem Kompromissentwurf der EU-Verordnung zum Inverkehrbringen und zur Verwendung von Biozid-Produkten (ersetzt die Reichtlinie 98/8/EG) stimmten die ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten am 23.11.2011 zu. Mit der Plenarabstimmung in zweiter Lesung wird der Verordnungsvorschlag vom EU-Parlament am 19.01.2012 verabschiedet. Nach Abstimmung im Umweltrat findet die Verordnung ab September 2013 Anwendung
  2. Die Ausschlusskriterien für den Umweltbereich sind definiert als "persistent, bioakkumulativ und toxisch" (PBT) und als "sehr persistent and ser bioakkumulativ" (vPvB)
  3. Das EU-Pestizidpaket wurde 2009 verabschiedet (1107/2009/EC and 2009/128/EC). Pressemitteilung des EU-Parlaments vom 13.01.2009: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?language=en&type=IM-PRESS&reference=20090112IPR45936
  4. Der schwache Kompromiss nach dem Trilog sieht vor, dass die EU-Kommission drei Jahre nach dem Inkrafttreten der Verordnung einen Bericht erstellen soll, um zu evaluieren, inwieweit die neue Gesetzgebung zu einer nachhaltigen Verwendung von Biozid-Produkten beiträgt. Auf Basis dieses Berichts könnte die EU-Kommission einen Gesetzesrahmen für die nachhaltige Verwendung von Biozid-Produkten vorschlagen.

Weitere Informationen:

Joint NGO recommendations for EP ENVI Committee's 2nd reading on the biocide regulation (COM (2009) 267), 06 September 2011: http://www.pan-germany.org/download/biocides/NGO_recom_biocide-regulation_110906.pdf

PAN Germany (2011): Sustainable use of biocides in Europe - urgent need for action: http://www.pan-germany.org/download/biocides/briefing_sustainable_use_of_biocides.pdf


Kontakt:

Susanne Smolka (Projekt-Koordinatorin Biozide Deutschland/Europa), Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany) Tel. + 49 40-399 19 10-24, E-Mail: susanne.smolka@pan-germany.org

Anne Stauffer, stellvertretende Geschäftsführerin, Health and Envirionment Alliance (HEAL), Tel: +32 2 234 3644, E-Mail: anne@env-health.org

Hans Muilerman, Pesticide Action Network Europe, Tel: +316 558 072 55, E-mail: hans@pan-europe.info

Elisabeth Ruffinengo, Women in Europe for a common Future (WECF), Tel: +33 450 49 97 38 E-mail: elisabeth.ruffinengo@wecf.eu

Nick Mole, Policy Officer, Pesticide Action Network UK, Tel: +44 20 7065 0905, E-mail: nickmole@pan-uk.org

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