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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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FAO-Hochrechnungen zur Welternährung in der Kritik

30.06.2011, PAN Germany

Aus: PAN Germany Pestizid Brief Mai / Juni 2011

"Wir müssen wieder stärker in die Landwirtschaft investieren" fordert der Berliner Agrarökonom Harald von Witzke im Jahresbericht 2010/2011 des Industrieverband Agrar und der Präsident des Industrieverbands stellt diese Aussage in seinem Vorwort zum Jahresbericht flugs in einen direkten Zusammenhang mit den "steigenden Bevölkerungszahlen". Neu ist diese mechanisch anmutende Argumentation nicht. Sie bestimmte bereits vor einem viertel Jahrhundert öffentliche Äußerungen der Pestizidindustrie, um den intensiven Pestizideinsatz zu begründen. Dass die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ebenfalls kürzlich diesen Argumentationspfad (wohl eher unbeabsichtigt) protegierte, ist allerdings bemerkenswert.

Als die FAO am 23. September 2009 die Ergebnisse ihrer Berechnungen der globalen Ernährungslage bis zum Jahr 2050 veröffentlichte, lautete die zentrale Nachricht, dass die landwirtschaftliche Produktion bis 2050 um 70% gesteigert werden müsse, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Damit wurde das Thema "Welternährung" erneut durch viele kaum mit dem Thema vertraute Personen auf technische Fragestellungen reduziert und wichtige Aspekte einer sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit nicht angemessen berücksichtigt. Eine gemeinsam durch die Heinrich Böll Stiftung und den WWF veröffentlichte Studie1 setzt sich deshalb detailliert mit den Hochrechnungen der FAO auseinander und benennt die Implikationen dieser Kernaussage. Dabei geht es den Herausgebern insbesondere um die Art und Weise, wie die Berechnungen der FAO vorgenommen wurden und um die Frage nach der Verbindung zwischen einer erhöhten globalen agrarischen Produktion und Hunger.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass viele der den FAO-Hochrechnungen zugrunde liegenden Methoden, Annahmen und Berechnungen nicht ausreichend transparent bzw. nachvollziehbar sind. Bezüglich des Zusammenhangs zwischen globaler Agrarproduktion und Hunger stellt die Studie fest, dass Unterernährung nicht ein Problem der Nahrungsmittelverfügbarkeit ist, sondern des ökonomisch bestimmten Zuganges zu Nahrungsmitteln. Armut sei die entscheidende Ursache für Hunger.

Gleichwohl sehen der WWF und die Böll Stiftung die Notwendigkeit einer Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion. Sie stellen dieses Erfordernis allerdings vor allem in einen Zusammenhang mit der Preisentwicklung auf den Nahrungsmittelmärkten, da ein zu starkes Ansteigen der Lebensmittelpreise jene Personen hart treffen könnte, die einen sehr hohen Anteil ihrer verfügbaren finanziellen Mittel für Nahrungsbeschaffung aufwenden.

Hinsichtlich der potentiellen Lösungsansätze betont die Studie, dass eine ganze Reihe begleitender Maßnahmen zu implementieren seien. Dazu zählen etwa die Beendigung der Subvention von Bioenergie sowie die Reduktion der Nachernteverluste und des Fleischkonsums in den Industrieländern. Allerdings müsse nach Regionen unterschieden werden. Eine Steigerung der Produktion bzw. eine Reduktion der Nachernteverluste sei vorrangig dort wichtig, wo die Ernährungslage unzureichend sei. In solchen Regionen könne der doppelte Effekt erzeugt werden, einerseits die Lebensmittelpreise zu drücken und andererseits das Nahrungsmittelangebot zu steigern, wodurch auch die Einkommensmöglichkeit durch Arbeit in der Agrarproduktion erhöht werden könne.

Dringend notwendig seien Investitionen in die ländliche Infrastruktur und insbesondere Investitionen in die Zukunft armer Menschen (Ausbildung, Beschäftigung, Sozial- und Gesundheitssysteme). Diese Maßnahmen dürften allerdings nicht durch andere politische Weichenstellungen konterkariert werden. So könne etwa eine auf nachwachsende Rohstoffe setzende Energiepolitik der ersten Generation erhebliche Landnutzungseffekte erzeugen.

Die Studie adressiert auch das jüngst entbrannte Thema Nachernteverluste und fordert angesichts einer ausreichenden Evidenz der Bedeutung dieses Themas mehr Forschung über die Art und den Umfang von Nachernteverlusten, um problemadäquate Lösungen zu entwickeln und zu implementieren. Die gegenwärtigen Nachernteverluste werden immerhin auf 20-50% geschätzt, wobei die Verluste in der Lieferkette in den Entwicklungsländern dominieren, während die Lebensmittelverschwendung bzw. das Wegwerfen von Lebensmitteln durch den Einzelhandel und Privathaushalte in den Industrieländern dominiert.

Die Effekte einer reduzierten Nachfrage nach Fleisch sieht die Studie vor allem im gesundheitlichen und ökologischen Bereich, aber durchaus auch hinsichtlich der Nahrungsmittelverfügbarkeit. Allerdings wird einschränkend betont, dass dies möglicherweise zu geringeren Fleischpreisen führt, was wiederum den Fleischkonsum anregen könne. Der Effekt eines reduzierten Fleischkonsums auf die Kosten der Grundnahrungsmittel sei gering.

1 Grethe H, Dembélé A, Duman N (2011): How to Feed the World's Growing Billions - Understanding FAO World Food Projections and Their Implications, WWF und Heinrich Böll Stiftung (Hg.)

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