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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Neue endokrine Pestizide identifiziert

30.04.2011, PAN Germany, Susanne Smolka

Aus: PAN Germany Pestizid-Brief März / April 2011

Eine neue Studie des Zentrums für Toxikologie der Universität London identifizierte eine Reihe umweltrelevanter Pestizide erstmals als hormonell wirkende Stoffe. Die Forscher plädieren u.a. für ein strengeres Biomonitoring rückstandsrelevanter Pestizide hinsichtlich ihrer endokrinen Wirkungen.1

Bereits bei einer ganzen Reihe von Pestiziden sind hormonelle Effekte anhand von Tierversuchen oder in-vitro- Versuchen belegt worden. Allerdings scheint die Verwendung bzw. das Expositionspotential von Pestiziden bei der Auswahl für solche Versuchsreihen nicht die Bedeutung zu haben, die notwendig wäre, beklagen die Wissenschaftler dieser neuen Studie. So zielen die meisten der bislang publizierten Studien auf verdächtige Pestizide, die zumindest in den Industriestaaten Staaten gar nicht mehr zur Anwendung gelangen werden.

Die Forscher aus London gingen daher einen anderen Weg. Ihr Ziel war es, zunächst häufig verwendete Pestizide mit einem entsprechend hohen Expositionspotential zu identifizieren, um sie anschließend auf ihre anti-androgene Aktivität hin zu untersuchen.

Identifiziert wurden 137 Kandidaten, die beispielsweise besonders häufig im Rückstandsmonitoring für Lebensmittel in der EU aufgefallen waren. Danach wurde geprüft, ob die chemische Struktur der einzelnen Pestizide eine anti-androgene Aktivität vermuten lässt. Diese Filtermethode zur Auswahl verdächtiger Pestizide bedient sich des Konzepts der sogenannten quantitativen Struktur-Aktivitätsbeziehung (QSAR) und sie wurde im Vorfeld von derselben Forschungsgruppe um den deutschen Wissenschaftler Dr. Andreas Kortenkamp entwickelt. Nach Anwendung der Methodik blieben 37 umweltrelevante Pestizide übrig, die einem in-vitro Test zur Feststellung anti-androgener Wirkpotentiale unterzogen wurden.

Anti-androgene Schadstoffe hemmen die männlichen Sexualhormone. Besonders problematisch ist eine Exposition während der Schwangerschaft oder während der frühkindlichen Entwicklung. Typische Effekte sind beispielsweise Fehlentwicklungen und Missbildungen der Sexualorgane. Dies kann die Größe wie auch die Funktion betreffen. Bei exponierten Söhnen kann einer Abnahme der Penisgröße und der Spermienqualität, eine Verweiblichung, aber auch ein steigendes Hodenkrebsrisiko die Folge sein. Verschiedene epidemiologische Untersuchungen bei Söhnen von Müttern, die mit Pestiziden oder mit pestizidbehandelten Produkten beruflich in Kontakt gekommen waren, untermauern die genannten Befunde.

Die 28-seitige Studie bietet eine kurze Übersicht zu aktuellen Befunden. So sind etwa anti-androgene Effekte in-vitro oder über die Exposition während der Schwangerschaft in-vivo bei dem Herbizid Linuron, den Fungiziden Prochloraz, Procymidon, Tebuconazol und Vinclozolin, den Organochlorinsektiziden DDE und Endosulfan, dem Organophosphat Dimethoat und dem Pyrethroid-Insektizid Deltamethrin berichtet worden.

Viele der identifizierten oder unter Verdacht stehenden Wirkstoffe werden in der EU gar nicht mehr eingesetzt. Demgegenüber sind Informationen zu endokrinen Gefahrenpotentialen bei den derzeit verwendeten Pestiziden vergleichsweise rar. Dabei ist gerade bei diesen Pestiziden das Risiko groß, dass viele Menschen bei der Anwendung oder beim Verzehr von Nahrungsmitteln mit Rückständen mit diesen Wirkstoffen in Kontakt kommen. Die Studie soll dazu beitragen, die bestehenden Kenntnislücken zu reduzieren.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind alles andere als beruhigend. Bezüglich der 37 getesteten Pestizide konnte in 14 Fällen die bereits zuvor beschriebene anti-androgene Wirkung bestätigt werden. Bei weiteren 9 Pestiziden konnte erstmals eine solche Aktivität beschrieben werden. Hierbei handelt es sich um die Fungizide (die Zahlen in den Klammern entsprechen den in Deutschland derzeit zugelassenen Pestizidprodukten): Dimethomorph (7), Fenhexamid (4), Quinoxyfen (5), Cyprodinil (7), Pyrimethanil (3), Fludioxonil (8) sowie die Insektizide Lambda-Cyhalothrin (8) und Pirimiphos-methyl (1) sowie das nicht mehr in Deutschland zugelassene Organophosphat Azinphos-ethyl .

Sieben weitere Pestizide konnten als androgen-wirkende Stoffe identifiziert werden, die im Körper wie männliche Hormone wirken.

Neben der Identifizierung dieser Pestizide und der Forderung nach weiteren in-vivo Studien betonen die Wissenschaftler die bestehenden Kenntnislücken. Dies verhindere eine akurate Abschätzung von Pestizidrisiken für die männliche Gesundheit. Besonders bemängelt wird das Fehlen von in-vivo Untersuchungen und von Biomonitoring für besonders umweltrelevante Pestizide. So treten besonders bei Fungiziden hohe Expositionen auf, da sie oft kurz vor oder nach der Ernte appliziert werden. Hinzu kommt, dass sie oft in Mixturen ausgebracht werden, um Resistenzen vorzubeugen. Insofern sind auch Kombinationsexpositionen von anti-androgenen Fungiziden bei Menschen wahrscheinlich. Mehr Aufmerksamkeit sollte darauf gelenkt werden, in-vivo Effektkonzentrationen mit den realen Expositionskonzentrationen im Zusammenhang zu analysieren, betonen die Autoren.

(Susanne Smolka)

1 Orton, F., E. Rosivatz, M. Scholze & A. Kortenkamp (2011): Widely used pesticides with previously unknown endocrine activity revealed as in vitro Anti-Androgens. Environmental Health Perspectives, kostenloser PDF-Download unter: http://dx.doi.org, Online 10.2.11, 28 S.

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