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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Biozid-Verordnung: Beratung neuer Vorschläge

23.12.2010, PAN Germany, Christian Schweer

Aus: PAN Germany PestizidBrief November/Dezember 2010

Nachdem das Europäische Parlament (EP) im September 2010 seine Änderungsvorschläge zum Kommissionsentwurf einer Biozid-Verordnung beschlossen hatte, sind nun die Umweltminister der EU-Staaten gefordert, ihre gemeinsame Position vorzulegen. Eine Einigung im Rat wird für Dezember 2010 angestrebt. Die neu eingebrachten Vorschläge lassen erkennen, dass dem Umwelt- und Gesundheitsschutz mehr Bedeutung zukommen soll. Allerdings bemängelt PAN, dass wichtige Anregungen des EP bislang nicht aufgegriffen wurden. Das betrifft v. a. Regelungen zur Verwendung und Substitution von Bioziden. Ein Umdenken im Rat ist dringend erforderlich.

Im Oktober und November 2010 sind in der Ratsarbeitsgruppe Umwelt zahlreiche neue Vorschläge zur Ausgestaltung der Biozid-Verordnung eingebracht und beraten worden. Die Arbeitsgruppe bereitet die Entscheidungen des Rates der Umweltminister der EU-Mitgliedsstaaten vor, der im EU-Rat für die Verordnung federführend zuständig ist. Die Änderungen betreffen mehrere Kapitel und Anhänge des Gesetzes. Sie zeigen, dass sich die Ergebnisse der ersten Lesung im EP auf die Beratungen im Rat ausgewirkt haben. So schlägt nun die Ratsarbeitsgruppe Umwelt vor, dass die Anforderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie bei der Zulassung von Bioziden zu berücksichtigen sind. Wie zuvor im EP wird die Ausgestaltung des cut-off Regimes (Artikel 5) intensiver beraten. Ebenso stehen die Anforderungen an die Produkt-Zulassung (Artikel 17, 29 und 33) und an die Zulassungs-Daten im Mittelpunkt der Diskussion (Anhänge II und III). Dabei übernehmen die Vertreter der Mitgliedsstaaten in der Ratsarbeitsgruppe Umwelt aber nicht einfach nur die bisher vorgetragenen Vorschläge der EP-Abgeordneten, sondern bringen auch neue Aspekte ein. Nicht immer sind diese vorteilhafter für den Umwelt- und Gesundheitsschutz. Zentrale Themen der Beratung in der Ratsarbeitsgruppe sind:


Cut-off Regime

Das cut-off Regime soll die Zulassung besonders gefährlicher Wirkstoffe grundsätzlich verhindern. Im Fokus der Beratungen stehen Ausnahmeklauseln, die unter bestimmten Bedingungen ein weiteres Inverkehrbringen von cut-off Bioziden ermöglichen. Positiv ist, dass im Rat über eine weitere Eingrenzung von Schlupflöchern nachgedacht wird. Für jeden vorgesehen Ausnahmefall ist eine Alternativen-Prüfung vorzunehmen. Das bedeutet: Vor Inanspruchnahme der Ausnahme muss bewiesen werden, dass es keine unbedenklichere Substanz oder kein Alternativ-Verfahren für den beanspruchten Zweck gibt. Außerdem soll geprüft werden, ob Gefahren durch "worst case"-Fälle (Unfälle etc.) bestehen. Sollten Mensch und Umwelt durch die Ausnahmegenehmigung ggf. krebserregenden oder anderweitig gefährlichen Bioziden ausgesetzt sein, so soll eine Zulassung versagt werden.

Noch ist nicht sicher, ob die Ratsarbeitsgruppe diese Vorschläge beibehält. Von Seiten der Industrie gab es bereits Widerstand gegen die Alternativen-Prüfung. Es ist zu befürchten, dass der Vorschlag unter dem Druck der Industrie zurück genommen wird.

Dem Anforderungskatalog des EU-Parlaments haben sich die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten bislang nicht angeschlossen. Das Parlament fordert unter anderem, dass Risiko-Reduktionsmaßnahmen und Substitutionspläne im Falle der Genehmigung von Ausnahmen zu realisieren sind.

Ein weiterer kritischer Aspekt ist, dass sich die Ratsarbeitsgruppe nicht gegen den Vorschlag der Kommission ausgesprochen hat, dass wirtschaftliche Erwägungen ein Grund für die Zulassung hochgefährlicher Biozide sein könnten. Das EP lehnt diese Klausel ab.


Vereinfachte Produkt-Zulassung

An den Regelungen für die Zulassung von Produkten mit niedrigem Risikopotenzial hat sich seit dem letzten Entwurf manches geändert. So hat die Ratsarbeitsgruppe Umwelt den Titel der Regelung zur vereinfachten Produkt-Zulassung geändert. Die Intention liegt nun auf der vereinfachten Zulassung von Produkten. Allerdings wurden zugleich wichtige Anforderungen für die Anwendung dieses Verfahrens festgelegt. Alle Wirkstoffe müssen in einer neuen Positivliste, dem Anhang I A, aufgeführt sein. Dabei handelt es sich bisher vor allem um Wirkstoffe, die nicht chemisch-synthetisch hergestellt werden. Zudem dürfen die Produkte keine bedenklichen Substanzen enthalten. Unklar bleibt weiterhin, wie das Verfahren der vereinfachten Zulassung gestaltet sein wird.


Gegenseitige Anerkennung von Biozid-Produkten

Wird ein Produkt in einem Land zugelassen, so kann es über ein vereinfachtes Verfahren auch in einem anderen Land der EU eine Zulassung erhalten. Dabei sind die verbleibenden Gestaltungsspielräume der Staaten, die eine Zulassung quasi übernehmen sollen, wichtig. Dies ist besonders dann der Fall, wenn es um Produkte geht, die sich bedenklich auf Gesundheit und Umwelt auswirken. Paradoxerweise wollen die Mitgliedsstaaten sich hierbei weitgehend in ihren bisherigen Rechten beschränken. Im Gegensatz zur Position des EP sollen laut Ratsarbeitsgruppe echte Abwehr- und Anpassungsrechte der nationalen Behörden nur für drei der 23 Produkt-Typen möglich sein. Und sie sind nur auf den Tierschutz begrenzt. Das heißt: Sollte ein Produkt schädlich für Umwelt und/oder Gesundheit sein, so kann die nationale Behörde nichts zum Schutz ihrer Bevölkerung oder regionaler Naturschutzgebiete unternehmen. Es sei denn, die Kommission erlaubt es ihr.


EU-Zulassung

Ähnlich wie das EP spricht sich die Ratsarbeitsgruppe Umwelt dafür aus, dass grundsätzlich alle Biozid-Produkte die neu vorgesehene EU-Zulassung (Zulassung für den gesamten Binnenmarkt) erhalten können. Allerdings gibt es einige Unterschiede. So soll die Anwendung und das Inkrafttreten dieses Systems von dem Produkttyp abhängig gemacht werden. Produkte wie Rattengifte, Biozide gegen Fische oder Antifouling-Mittel sollen keine EU-Zulassung erhalten, was zu begrüßen ist. Zudem ist der Termin für die Einführung des gesamten EU-Systems später vorgesehen, als vom EP gesetzt. Statt 2017 soll es frühestens 2020 umgesetzt sein. Die Ratsarbeitsgruppe Umwelt sieht vor, dass sich dieser Termin gegebenenfalls weiter verschieben kann. Außerdem soll ein Produkt nur dann eine EU-weite Zulassung erhalten, wenn die Bedingungen für die Anwendung des Produktes überall in Europa ähnlich sind. Allerdings reicht dieser Ansatz nicht aus. Was unter ähnlichen Anwendungsbedingungen zu verstehen ist, ist nicht geklärt. Hochgefährliche Produkte können nach dem Entwurf der Ratsarbeitsgruppe Umwelt eine EU-weite Zulassung erhalten. Ebenso bestehen keine Möglichkeiten für die Mitgliedsstaaten, die Vermarktung von durch die EU zugelassenen Bioziden auf ihrem Hoheitsgebiet zu versagen, selbst wenn diese Produkte für Mensch und Umwelt bedenklich sind.


Datenanforderungen

Die Entwürfe im Rat lassen erkennen, dass es den Mitgliedsstaaten wichtig ist, genügend Daten für die Bewertung von Produkten und Wirkstoffen zur Verfügung zu haben. Hier unterscheiden sich die Vorschläge entscheidend von dem Ansatz des EP, das sich hierzu in Widersprüche verstrickt hat, indem es weitergehende Anforderungen zum Umweltschutz mit einer Vielzahl an Möglichkeiten für Daten-Abweichungen verbunden hat. Die Ratsarbeitsgruppe fordert zusätzliche Untersuchungen von den Herstellern, wie etwa Informationen über nachteilige Effekte von Bioziden auf das Nerven- und Immunsystem, Daten über Produktionsmengen und über die Anwendung. Außerdem soll auf Kombinationswirkungen geprüft werden, die durch die chemischen Mischungen in den Biozid-Produkten hervorgerufen werden könnten. Allerdings muss auch dieser Ansatz weiter nachgebessert werden, weil viele der Anforderungen noch nicht ausreichen. Zum Beispiel sind die vorgeschriebenen Tests nicht umfassend genug, um alle Risiken für Schwangere zu ermitteln. Und es wird nicht sichergestellt, dass jedes Produkt daraufhin geprüft wird, ob es sich auf das Immunsystem schädlich auswirkt.


Weiterer Handlungsbedarf

Es ist kritisch zu bewerten, dass sich die Ratsarbeitsgruppe Umwelt noch nicht für eine Gemeinschafts-Initiative für die nachhaltige Verwendung von Bioziden ausgesprochen hat. In den aktuellen Entwürfen finden sich ferner keine Regelungen zur Einführung von Substitutionsplänen, mit deren Hilfe bedenkliche, aber bisher alternativlose Produkte ersetzt werden können. Die Ratsarbeitsgruppe hat sich dagegen ausgesprochen, dass für das Immun- oder Nervensystem schädliche Wirkstoffe substitutiert werden müssen. Zudem fehlen in Bezug auf Biozide in Nano-Form weitere Bestimmungen wie etwa zur gesonderten Risikobewertung oder zur Kennzeichnung der Produkte. Bei all diesen Herausforderungen besteht dringender Nachbesserungsbedarf.

PAN Germany hat zusammen mit seinen Partnern auf diese Herausforderungen hingewiesen und in seinen aktuellen Stellungnahmen zentrale Handlungsempfehlungen für die weiteren Beratungen in der Ratsarbeitsgruppe Umwelt und für die Entscheidung der Umweltminister am 20. Dezember 2010 in Brüssel formuliert. Insbesondere setzt sich PAN für ein striktes cut-off Regime ein, bei dem hochgefährliche Biozide nur in sehr gut begründeten und zwingenden Ausnahmefällen eine Zulassung erhalten. Zudem sind mit verbindlichen Substitutionsplänen nicht-chemische Alternativen zu fördern und eine EU-Richtlinie soll ab 2013 die nachhaltige Anwendung von Biozid-Produkten sicherstellen.

(Christian Schweer)

Die aktuelle PAN-Stellungnahme zur Beratung der Biozid-Verordnung ist abrufbar unter: PAN_Recommendations_WGENVI_biocides_20101119

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