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Kombinationseffekte: Realitäten managen lernen

30.04.2010, PAN Germany, Susanne Smolka

Aus: PAN Germany Pestizid-Brief März / April 2010

Die Risiken des so genannten Cocktaileffekts bei Stoffgemischen werden noch immer in der EU-Gesetzgebung weitgehend ignoriert. Die EU sollte nicht nur, sondern wäre auch in der Lage, Kombinationseffekte abzuschätzen und zu regulieren - auch im Umweltbereich. Zu diesem Fazit kommt eine neue Studie, die im Auftrag der Generaldirektion (GD) Umwelt der EU Kommission erstellt und im Februar 2010 veröffentlicht wurde1.

Die Studie soll der Auftakt dafür sein, sich endlich auf der regulativen Ebene den Realitäten von Chemikalienexpositionen in der stark chemisierten EU zu stellen. Bis 2012 soll dann eine abgestimmte, gemeinsame Position für die Vorgehensweise bei der Risikoabschätzung und dem Risikomanagement von Stoffgemischen entwickelt werden.

PAN Germany wies schon vor Jahren darauf hin, dass ein effektiver Umwelt- und Gesundheitsschutz das Auftreten und die Wechselwirkung von Stoffgemischen berücksichtigen sollte. 2005 hat PAN Germany dazu eine ausführliche fachliche Stellungnahme abgegeben und methodische Lösungsansätze vorgeschlagen2. Insofern kommt der Vorstoß der GD Umwelt spät, sollte aber umso mehr begrüßt werden.

Das grundsätzliche Problem: Toxikologie und Ökotoxikologie berücksichtigen in der Regel nicht altbekannte pharmakologische Grundsätze, nämlich die Möglichkeit von Wechselwirkungen von chemischen Substanzen. Dieses Risiko bleibt bei der Einzelstoffprüfung im regulativen Bewertungsprozess zumeist unberücksichtigt. Dies macht die Entscheidungsfindung zum Beispiel in Genehmigungsverfahren von Pestizid- oder Biozidwirkstoffen einfacher und vor allem justiziabel, hat jedoch selten etwas mit der realen Expositionssituation von Mensch und Umwelt gemein. So wird die Gefahr ausgeblendet, dass negative Auswirkungen für Mensch und Umwelt durch Stoffexpositionen ggf. weit unterschätzt werden.

Dabei ist schon lange bekannt, dass sich besonders Stoffe mit demselben Wirkmechanismus in ihrer Kombination addieren (concentration or dose addition) und die Gesamtkonzentration des Gemisches für den ausgelösten Effekt relevant ist.

Stoffe mit unterschiedlichem Wirkmechanismus können als Gemisch synergistische oder auch antagonistische Effekte auslösen (independent action). Dies ist auch möglich, wenn die einzelnen Substanzen jeweils unter ihrer beobachtbaren Wirkschwelle vorliegen (z.B. unter dem NOAEL, no observed adverse effect level).

Die US-amerikanische Umweltorganisation EPA wendet für bestimmte Stoffgruppen mit identischem Wirkmechanismen wie Organophosphaten Richtlinien zur Abschätzung des Mischeffekts an, die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ebenfalls Richtlinien vorgeschlagen. Das Manko an diesen Modellen ist ihre begrenzte Anwendung im Bereich der Humantoxikologie (z.B. für das Setzen von Rückstandshöchstmengen in Lebensmitteln).

Die nun vorgestellte Studie bietet einen umfangreichen Überblick über den aktuellen Forschungsstand, Regulierungen und formuliert Empfehlungen für die Europäische Union. Die Autoren betonen, dass die Grundannahmen und Basismodelle der Wirkabschätzung für Gemische sowohl für human- als auch für ökotoxikologische Ansätze nutzbar sind. So sollte der Umweltbereich nicht länger bei dem Problem von Stoffgemischen ausgegrenzt bleiben.

Die EU habe hier die Chance eine Vorreiterstellung in der Welt einzunehmen, so die Autoren. Ohne ein legislatives Mandat ginge dies aber nicht. Dies zeige die Vergangenheit sowohl in den USA als auch in Europa. Beispielsweise wurde die europäische Lebensmittelbehörde EFSA erst aktiv für bestimmte Pestizidgruppen Gesamt-Rückstandshöchstmengen für Lebensmittel festzulegen, als sie durch die neue Rückstandshöchstmengen-Verordnung von 2005 das Mandat dazu erhielt. Ein entsprechender Passus ist auch in der neuen Pestizid-Zulassungsverordnung enthalten. Diese positiven Fortschritte kann auch PAN als Erfolg seiner Arbeit verbuchen.

Dass die Berücksichtigung von Kombinationseffekten aber noch nicht in alle Bereiche der EU-Gremien vorgedrungen ist, zeigt das Beispiel des derzeit verhandelten Biozidrechts. In dem Entwurf der EU-Kommission sucht man einen vergleichbaren Artikel zur Berücksichtigung von Kombinationswirkungen vergebens. Hier bleibt zu hoffen, dass entsprechende Ergänzungsvorschläge von PAN Germany ihren Weg in den Gesetzestext finden.

Neben der Empfehlung, regulativ das Problem in Angriff zu nehmen, schlagen die Autoren weitere Forschungsanstrengungen vor. Zum Beispiel sollte synergistischen Wirkungszusammenhängen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Neben der Erstellung von Prioritätenlisten für Einzelstoffe sollte damit begonnen werden, Prioritätenlisten für Stoffgemische zu erstellen.

(Susanne Smolka, PAN Germany)

1 Kortenkamp, A., T. Backhaus & M. Faust (2009): State of the Art Report on Mixture Toxicity. Final Report, 22. December 2009: >http://ec.europa.eu/environment/chemicals/pdf/report_Mixture%20toxicity.pdf
2 PAN Germany (2005): Warum Risikobeurteilungen auch für Mischungen von Stoffen notwendig sind. PAN-Stellungnahme, Oktober 2005: http://www.pan-germany.org/deu/ ~news-428.html

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