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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Das Pestizid-Reduktionsprogramm in Großbritannien

01.09.2006, PAN Germany, Susanne Smolka

Die Britische Regierung veröffentlichte im März einen Entwurf ihrer neuen nationalen Pestizidstrategie hin zu einem nachhaltigen Einsatz von Pestiziden. Umweltschutzgruppen wie PAN UK sind skeptisch, ob mit den vorgeschlagenen Maßnahmen die Zielsetzung erreicht werden kann.

Ein langer Diskussionsprozess war der Veröffentlichung des Vorschlags zu einem britischen Pestizid-Reduktionsprogramm vorausgegangen. Nach der Veröffentlichung durch das zuständige Pesticides Safety Directorate (PSD)¹ konnten Interessenverbände, so auch PAN UK, Stellungnahmen zum Entwurf abgeben² ³.

Das offensichtlichste Defizit des Regierungsentwurfs zeigt sich bereits im Titel: "Pesticides and the Environment - A strategy for the sustainable use of plant protection products". Als Schutzgut wird die Umwelt, nicht aber die Gesundheit oder der Verbraucherschutz genannt. Dies rief heftige Kritik hervor. Das PSD sagte daraufhin zu, im Rahmen der anstehenden Überarbeitung während der nächsten 12 Monate die Einbeziehung des Gesundheitsschutzes zu überdenken.

Ein zweiter Kritikpunkt galt der Definition des PSD zu dem Begriff "sustainable use" ("nachhaltige Nutzung"). Der Entwurf verstand darunter die Minimierung der Gefahren und Risiken für die Umwelt, jedoch ohne notwendige Pflanzenschutzmaßnahmen zu beeinträchtigen. Diese Definition ist in dieser Form aus dem endgültigen Entwurf erfreulicherweise wieder verschwunden, ignoriert sie nicht nur Gesundheitsrisiken, sondern stellt die Einzelinteressen des Pflanzenschutzes über zentrale Gemeinschaftsinteressen.

Grundsätzlich ist es aus Sicht von PAN notwendig, Strategien für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion zu entwickeln und dabei ein Pflanzenschutz- und Schädlingsmanagement zu entwickeln, das auf Vermeidung chemischer Pestizide setzt.

Zur Strategie des Programms

Der PSD-Entwurf setzt folgende Ziele fest:

  • Reduktion der Gewässerbelastung durch Pestizide nach den Standards der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie
  • Einhalt und Umkehr des Verlustes der biologischen Vielfalt, verursacht durch Pestizide
  • Förderung der Entwicklung von alternativen, weniger gefährlichen Pestiziden und des zunehmenden Einsatzes integrierter Pflanzenschutzverfahren mit geringerem Pestizideinsatz
  • Entwicklung einer "best practice" bei der Pestizidanwendung auf Nicht-Kulturlandflächen wie Golfplätzen, Sportplätzen, Straßenrandstreifen etc.
  • Minimierung des Risikos von Umweltbelastungen durch nicht sachgerechte Entsorgung von Mitteln im nicht-professionellen Anwenderbereich (Kleingartenbesitzer etc.)
  • Sicherstellung einer ausreichenden Pestizidauswahl oder anderer Schädlingsmanagementverfahren, insbesondere für Kleinkulturen

Zur Struktur des Programms

Die Erreichung der Ziele soll durch die Umsetzung von fünf Aktionsplänen erfolgen: zu Wasser, Biodiversität, Nicht-Kulturland, nicht-professionellen Anwendern und zur Produktverfügbarkeit. Es ist dabei auffällig, dass den sechs genannten Zielen nur fünf Aktionspläne gegenüber stehen. Ausgerechnet die Förderung des integrierten Pflanzenschutzes unter Einsatz von weniger und weniger gefährlichen Pestiziden wird vom PSD nicht mit einem eigenen Aktionsplan bedacht. Demgegenüber steht die Forderung von PAN, einen eigenen Aktionsplan zur "Reduzierung der Abhängigkeit von Pestiziden" zu implementieren.

Die Umsetzung der Aktionspläne wird durch zugeordnete Gremien (Beiräte) begleitet, die bereits ihre Arbeit aufgenommen haben. Die Beiräte berichten jeweils dem Pestizidforum. Bislang ist unklar, ob und wie das Pestizidforum Einfluss auf die Entscheidungen der Beiräte haben wird.

Die Anzahl der Beiratsmitglieder ist begrenzt. Dies ist für eine konstruktive Arbeitssituation günstig, führt jedoch zu einer ungleichen Gewichtung der Interessengruppen in den Gremien. So ist die Pestizidindustrie in allen Beiräten vertreten, während es derzeit keinen Vertreter aus dem Lebensmittelhandel oder der Qualitätssicherung von Lebensmitteln gibt. Diese Gruppe hat jedoch einen großen Einfluss auf die Produktionspraxis ihrer Vertragspartner. Es gibt ebenso keine Vertreter aus Forschung, Bioanbau oder dem Alternativen Produktsektor (z.B. Produzenten von Biopestiziden). PAN UK ist der einzige Vertreter der Zivilgesellschaft und engagiert sich in den Gremien zu Wasser, Biodiversität, dem nicht-profes-sionellen Anwenderbereich sowie im Pestizidforum.

Lücken und Mängel des Programms

Die meisten der bislang vorgeschlagenen Maßnahmen können aus Sicht von PAN nicht als innovativ, neu oder richtungsweisend bewertet werden. Vielmehr orientiert sich das Programm am Erhalt oder an der Überarbeitung bereits bestehender Richtlinien oder vertraut auf nichtverbindlichen Empfehlungen.

Der entscheidende Arbeitsschritt wird die Festlegung von Zielen, Zeitplänen und Indikatoren sein, um die Fortschritte bewerten und gegebenenfalls Maßnahmen modifizieren oder hinzufügen zu können. Ein besonderes Problem ergibt sich bei dem übergeordneten Ziel, den weiteren Verlust an Biodiversität in Agrarökosystemen zu stoppen. Negative Effekte auf die Biodiversität werden in landwirtschaftlich genutzten Regionen durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren beeinflusst. Effekte des Pestizideinsatzes können daher nicht sicher oder quantitativ erfasst werden. So muss über einen grundsätzlichen Wandel in der Landwirtschaft nachgedacht werden, der die Agrarlandschaften unter Erhalt und Schutz der Biodiversität bewirtschaftet und strukturiert.

Eine wichtige Voraussetzung zur Festlegung von Indikatoren werden Erhebungen zum realen Pestizidverbrauch sein. Bestenfalls werden diese, verknüpft mit Überwachungsbefunden zur Belastungssituation, Bewertungen zur Entwicklung des Umweltzustands zulassen.

Bei dem konzeptionellen Ansatz der vorgeschlagenen Strukturen und Verantwortlichkeiten sind Konflikte zwischen den einzelnen Beiräten vorprogrammiert. Beispielsweise könnten die Beiräte für Biodiversität und Gewässerschutz für den Verzicht oder das Verbot bestimmter Pestizide plädieren, während der Beirat zur Sicherstellung der Produktverfügbarkeit sein Veto einlegt. Das gleiche Problem ergibt sich bereits derzeit mit der Food Standard Agency (FSA). Diese entwickelt momentan Maßnahmen zur Verminderung von Pestizidrückständen in Lebensmitteln. Dabei veröffentlicht die Behörde Empfehlungen zur Wahl von Pestizidprodukten und dem besten Applikationszeitpunkt, jedoch ohne diese Empfehlungen aus der Perspektive von Umweltrisiken durch die zuständigen Beiräte prüfen zu lassen.

Einen großen Rückschlag gab es bereits während der Konstituierungsphase der Beiräte. Während der Entwurf im März noch als mögliche Maßnahme die Einführung einer Pestizidsteuer vorsah, ist diese Option mittlerweile zurückgenommen worden. Offensichtlich war versäumt worden, während der Entwicklung des Programms, diese Option mit dem zuständigen Finanzministerium zu klären, welches schleunigst für die Eliminierung dieser Möglichkeit im Entwurf sorgte. So bleibt es ungewiss, ob in Großbritannien ökonomische Instrumente als Anreiz für eine Pestizidreduktion implementiert werden.

(Susanne Smolka)

(aus: PAN Germany Pestizid-Brief September / Oktober 2006)


1 PSD (2006): Pesticide and the Environment - A strategy for the sustainable use of plant protection products: http://www.pesticides.gov.uk/environment.asp?id=70
2 PAN UK (2005): UK National Pesticide Strategy - fails the sustainable challenge. Pesticide News 70, p18, December 2005
3 PAN UK (2006): New UK strategy avoids pesticide reduction. Pesticide News 72, p 5, June 2006

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