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Tribunal untersuchte Pestizidvergiftungen peruanischer Kinder

01.01.2006, Carina Weber

Ein im peruanischen Lima durchgeführtes Bürger-Tribunal über den "Tauccamarca-Fall" befand die Firma Bayer für schuldig, gegen internationale Sicherheitsstandards verstoßen zu haben und die peruanische Regierung für schuldig, nicht ausreichend für die gesundheitliche Unversehrtheit der ärmsten und verletzbarsten BürgerInnen ihres Landes Sorge getragen zu haben.

Hoch in den peruanischen Anden, im abgelegenen Dorf Tauccamarca starben 1999 24 Kinder, nachdem sie ein Milch-Substitut getrunken hatten, das mit Parathion-methyl kontaminiert war. Parathion-methyl ist ein extrem giftiges Pestizid aus der Gruppe der Organophosphate, das in Peru von der Firma Bayer unter dem Handelsnamen Folidol verkauft wurde. Die polizeiliche Untersuchung ergab, dass eine im Dorf lebende Frau das weiße Pestizid-Pulver mit Milchpulver mischte und den Beutel dann an ihrem Weg zum Haus platzierte, mit der Absicht, einen Hund zu töten, der ihre Küken jagte. Zwei Kinder, die auf ihrem Schulweg die Tüte mit dem weißen Pulver sahen und nicht bemerkten, dass es sich hierbei quasi um einen Giftköder handelte, nahmen das weiße Pulver mit in die Schule, wo es für die Frühstückszubereitung benutzt wurde. Die Folgen waren tragisch.

Angesichts der Vergiftungssymptome bemühten sich Eltern umgehend, die Kinder zum nächstgelegenen Gesundheitsposten zu transportieren. Aber bereits rund die Hälfte der vergifteten Kinder starb während des einstündigen Fußweges in den Armen der Eltern. Jene Kinder, die den Gesundheitsposten lebend erreichten, werden langfristig gesundheitliche Folgen ertragen müssen.

Die betroffenen Eltern bemühten sich mehrfach darum, finanzielle Unterstützung für die Pflege der überlebenden Kinder zu erhalten und sie setzten sich dafür ein, dass derart extrem giftige Stoffe wie Parathion zukünftig nicht mehr frei vermarktet werden dürfen. Vor allem geht es ihnen inzwischen darum, dass ein so furchtbarer Fall wie jener in Tauccamarca nie wieder in Peru geschieht. Auch heute, rund sechs Jahre nach dem Tod der Kinder, haben die betroffenen Familien keinerlei Unterstützung erhalten, weder von der Firma Bayer noch vom peruanischen Staat.

Um die Dorfgemeinschaft in Tauccamarca in ihren Anliegen zu unterstützen und um der Frage nach der Verantwortung der Firma Bayer und des peruanischen Staates nachzugehen, organisierte PAN Peru (dort bekannt unter dem spanischen Namen RAAA) ein Tribunal. Es wurde in Kooperation mit peruanischen Menschenrechts-, Umwelt und Arbeitsschutzorganisationen durchgeführt. Am 21. Oktober 2005 wurden Experten befragt und Zeugen gehört, zu denen auch Eltern der verstorbenen Kinder zählten, die den langen Weg zur Hauptstadt Lima auf sich genommen hatten.

In seinem Urteil vom Dezember 2005 befand das Tribunal, dass die Firma Bayer unterlassen hatte, die grundlegendsten Vorsorgemaßnahmen zur Verhinderung des Missbrauchs von Parathion-methyl sicherzustellen. Bayer vermarktete das extrem giftige Pestizid in einem einfachen Plastikbeutel mit einem Label, das ausschließlich in spanischer Sprache beschriftet war, obwohl die meisten Bewohner Tauccamarcas lediglich Quechua sprechen und Analphabeten sind. Das Label enthielt kein Pictogramm, um auf die Gefährlichkeit hinzuweisen. Die einzige abgedruckte Abbildung zeigte buntes, gesundes Gemüse. Viele Länder fordern für giftige Pestizide einen Geruchszusatz, der vor dem Inhalt warnt. Bayer verkaufte das Parathion-methyl ohne jeglichen warnenden Geruchszusatz.

Mit Blick auf die Verantwortung der peruanischen Regierung befand das Tribunal, dass für die Implementierung der nationalen Gesetze, die den Verkauf und Gebrauch gefährlicher Pestizide regeln, nicht ausreichend Sorge getragen wurde. Zudem befand das Tribunal, das Gesundheitsministerium habe nicht die erforderliche Gesundheitsversorgung bereitgestellt. Der nächstgelegene, eine Stunde vom Dorf entfernte Gesundheitsposten war weder mit qualifiziertem Personal ausgestattet, noch verfügte er über ein Antidote als die Eltern aus Tauccamarca ihn mit den bis dahin überlebenden Kindern erreichten.

Das Tribunal forderte die peruanische Regierung auf, sicherzustellen, dass die überlebenden Kinder umgehend angemessene medizinische Betreuung erhalten, dass die Dorfschule mit einem Sonderpädagogen für die geschädigten Kinder ausgestattet wird und dass rechtliche Schritte gegen alle Verursacher bzw. Verantwortlichen eingeleitet werden. Zudem forderte das Tribunal die Regierung auf, umgehend den Verkauf und den Einsatz all jener Pestizide zu verbieten, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "extrem gefährlich" (1a) oder "hoch gefährlich" (1b) eingestuft wurden.

Vgl. Citizens Tribunal Verdict. 6.12.05. Lima, Peru. Der vollständige Text des Citizens Tribunal Verdict ist verfügbar in Spanisch auf der PAN Peru website unter:
http://www.raaa. org/Tauccamarca/principal.htm, http://ga4. org/ct/_d1-IVS1RmtK/

Weiterführendes zum Thema in Englisch:
Rosenthal, E. (2003): The Tragedy of Tauccamarca: A Human Rights Perspective on the Pesticide Poisoning Deaths of 24 Children in the Peruvian Andes. Journal of International Occupational Health 9:53-538.


Carina Weber


(Aus: PAN Germany Pestizid-Brief Januar/Februar 2006)



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