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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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PAN-Workshop diskutierte europäische Reduktionsprogramme

01.09.2005, Carina Weber

32 VertreterInnen aus Nicht-Regierungsorganisationen, Landwirtschaft, Pflanzenschutzberatung, Lebensmittelhandel und Behörden/Ministerien trafen sich am 5. Juli 2005 in Hamburg zum Workshop "Pesticide Reduction Programmes in Germany and the UK – Experiences and Contributions within a Europe wide Approach". Ziel des Workshop war, vor dem Hintergrund der EU-Pestizidpolitik nationale Ansätze für Pestizidreduktion speziell in Deutschland und Großbritannien im Kontext der Aktivitäten anderer EU-Mitgliedsländer zu betrachten und Strategien zur Pestizidreduktion zu diskutieren.

Bereits Anfang der 90er Jahre setzte die EU im Rahmen des 5. Umweltaktionsprogramms das Ziel, den Pestizideinsatz in Europa deutlich zu reduzieren – ohne Erfolg. Das 2002 durch EU-Parlament und EU-Rat verabschiedete 6. Umweltaktionsprogramm zielte dann darauf ab, eine "Thematische Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden" zu entwickeln. Die Umsetzung der Strategie wird wesentlich eine Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten sein.

Die aktuellen Pestizidprobleme sind massiv. Rund die Hälfte der Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs enthalten Pestizidrückstände. Die Überschreitung der Pestizidgrenzwerte für Lebensmittel ist ein alltägliches Vorkommnis. Der Anteil der analysierten Proben mit Mehrfachbelastungen hat zugenommen, der Grenzwert für Pestizide im Trinkwasser für den menschlichen Gebrauch wird in vielen Ländern deutlich überschritten, und der Schutz des Naturhaushaltes ist nicht gewährleistet.

Parallel zu der Entwicklung einer "Thematischen Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden" in der EU haben Deutschland und Großbritannien Initiativen zur Entwicklung einer nationalen Strategie ergriffen. Die Hintergründe, Erfahrungen und Ansätze der Strategien sind in diesen beiden Ländern jedoch sehr verschieden, sodass ein Erfahrungsaustausch zum gegenseitigen Nutzen – vor dem Hintergrund der Arbeiten der EU-Kommission – sinnvoll ist. Da andere Länder z.T. schon deutlich länger derlei Aktivitäten durchführen, wurden deren Erfahrungen in das Workshop-Programm einbezogen.

Der Workshop war in vier Sektionen untergliedert. In der Sektion 1 (" Background") stellte Dr. Catherine Wattiez (PAN Europe) die Geschichte und Gründe für eine Pestizidreduktion in Europa dar und trug den aktuellen Stand der Entwicklung einer "Thematischen Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden" vor. Bei der Betrachtung der Kernelemente wurde deutlich, dass die Ausgangsbedingungen der EU-Mitgliedsländer sehr unterschiedlich sind und in Ländern mit höheren Standards durch die EU-Vorgaben kaum Fortschritte zu erwarten sind, während in anderen Ländern Fortschritte im Anwender-, Verbraucher- und Umweltschutz möglich sind. Bei der Vorstellung des EU-Arbeitsprogramms betonte Wattiez, dass gerade in den wenigen nächsten Monaten über die zukünftige Qualität der Thematischen Strategie bestimmt werden wird.

In Sektion 2 (" Approaches and Experiences in Germany and the UK") wurde die jeweilige Regierungspolitik der beiden Länder dargestellt und durch Statements kommentiert. Der Beitrag von Dr. Wolfgang Zornbach vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in Deutschland stellte das am 1.1.2005 begonnene "Reduktionsprogramm chemischer Pflanzenschutz" vor, an dessen Entwicklung alle wichtigen Interessengruppen beteiligt waren. Die durch Carina Weber (PAN Germany) vorgenommene Kommentierung des Programms betonte eine generelle Zustimmung, sparte aber auch nicht an Kritik mit Blick auf die Ziele und Indikatoren des Programms. Das Machbare sei nicht ausgeschöpft. Hinsichtlich des Erfolgsindikators "Rückstände" (die Überschreitung von Pestizidgrenzwerten für Lebensmittel soll auf < 1% gesenkt werden) bemängelte Carina Weber, dass es sich hierbei um ein ordnungsrechtliches Problem handele, dessen Lösung zur Pflichtaufgabe jeder Regierung gehöre.

Trotz Bemühens war leider kein Vertreter der UK-Regierung anwesend. Deshalb übernahm Dr. Clare Butler-Ellis (PAN UK) die Darstellung der Aktivitäten in Großbritannien. Es wurde deutlich, dass sich die Initiativen durch das Fehlen eines Regierungsprogramms stark auf privatwirtschaftliche Aktivitäten beschränken. Diese wurden, so Butler-Ellis, stark durch das von der englischen Regierung eingeführte "name-and-shame System" mobilisiert, im Rahmen dessen die UK-Regierung die Namen von Supermärkten publiziert, deren Lebensmittelproben in dem von der Regierung durchgeführten Lebensmittel-Monitoring durch die Überschreitung von Grenzwerten aufgefallen sind. Im Gegensatz zu UK werden zwar auch in Deutschland Daten des Lebensmittel-Monitoring veröffentlicht, aber nicht benannt, wer gegen das Lebensmittelrecht verstößt. Wohl auch deshalb sind beim deutschen Lebensmittelhandel bisher nur wenige Bemühungen um die Reduktion der Nebeneffekte des chemischen Pflanzenschutzes erkennbar.

Details der besonderen nationalen Entwicklungen in UK wurden in Sektion 3 durch Kevin Barker, co-op (UK) und Dr. Simon Bowen, Solanum (UK), erörtert. Dabei wurde deutlich, dass die normalerweise staatlicherseits vollzogene Normensetzung für den Pflanzenschutz über die Kooperation zwischen Lebensmittelhändlern und Bauern und angesichts kritischer Verbraucher quasi eine Parallelentwicklung zur klassischen Regierungspolitik darstellt. Durch spezielle Vereinbarungen (code of practice) wurden etwa Listen verbotener Pestizide erstellt, Pestizide nach dem Prinzip der Risikominimierung durch andere ersetzt, Reduktionsziele definiert und Nachhaltigkeitsziele gesetzt. In Deutschland befinden sich solche Entwicklungen in den Anfängen. Ein Beispiel wurde durch Dr. Gerhard Ostermann von Langnese-Iglo für den Bereich Spinatanbau erörtert. In der direkten Kooperation mit Bauern in der Region um Recklinghausen werden differenzierte Anforderungen an die landwirtschaftliche Produktion gestellt. Diese Anforderungen betreffen alle Aspekte der Produktion (Saatgutauswahl, Bodenanalysen, Pflanzenschutz, Rückstandsanalysen vor der Ernte für jedes Feld und auch die Beratung). Die spezielle Bedeutung der Beratung wurde zudem durch Dr. Erich Jörg von der Agrarberatung im Rheinland dargestellt, wobei deutlich wurde, dass etwa im Ackerbau zum Teil bedeutsame Reduktionspotenziale existieren, ohne dass eine erhebliche Veränderung des Anbausystems erforderlich wäre.

Als Barriere für weitergehende Pestizidreduktionen wurden sowohl aus Großbritannien als auch aus Deutschland die hohen Anforderungen der Konsumenten an die Beschaffenheit von Agrarprodukten (speziell Obst und Gemüse) benannt. Für beide Länder wurde ein hoher Bedarf identifiziert, den Einfluss der Konsumenten auf die Beschaffenheit von Agrarprodukten gegenüber den Konsumenten zu kommunizieren. Den Verbrauchern müsse sehr viel deutlicher vor Augen geführt werden, dass billige und zugleich äußerlich makellose und gleichförmige Agrarprodukte prinzipiell nur mit einem inneren Makel (Pestizidrückstände) zu haben sind.

Die Betrachtung von Beispielen anderer EU-Länder machte deutlich, dass sowohl die politischen Rahmenbedingungen als auch die Verfasstheit der Staaten eine wichtige Einflussgröße für Reduktionspotenziale darstellen. Das durch Hans Muilermann von Natuur en Milieu vorgetragene "Beispiel Niederlande" zeigte, dass breit angelegte Initiativen erheblich geschwächt werden können, wenn der staatliche Anreiz für Aktivitäten entfällt und zudem ein Mangel an Anreizen auf Agrarbetriebebene existiert. Demgegenüber beschrieb Hans Nielsen vom Danish Ecological Council die günstigen Bedingungen eines landesweiten und langjährigen Programms, das sich Ziele und Indikatoren setzt, konzertierte Aktionen organisiert, über eine von der Pestizidindustrie unabhängige Beratung verfügt, über Steuern das toxikologische Profil der vermarkteten Pestizide beeinflusst und nicht durch föderale Strukturen gehemmt wird. Nielsen betonte, dass die große Anzahl der Stakeholder, die anfänglich von Seiten der Regierung in die Entwicklung des Programms einbezogen wurde, dazu beitrug, dass dieses Programm unabhängig von Regierungswechseln eine Eigendynamik entfalten konnte, die zu einer langjährigen Kontinuität und Reduktionserfolgen führte.

Die Bedeutung der Verfasstheit von Staaten wurde auch im Vortrag von Esmeralda Borgo vom Bond Beter Leefmilieu deutlich. In Belgien wurde zwar ein Programm auf nationaler Ebene auf den Weg gebracht, die Kompetenz der Regionen kam bisher jedoch nicht ausreichend zum Tragen. Diese Hürde föderativer Strukturen konnte in Deutschland zumindest formal genommen werden, da die Agrarminister der Bundesländer im März 2005 den Beschluss fassten, das Programm der Bundesregierung im Rahmen ihrer Kräfte in den Bundesländern umzusetzen.

Dass private Initiativen nicht notwendigerweise wie im UK-Fall eines gezielten Regierungshandelns (name-and-shame System) bedürfen, sondern allein aus einer starken Konsumentenvertretung resultieren können, machte Helmut Burtscher von Global 2000 (Österreich) in seinem Vortrag deutlich. In Österreich hat Global 2000 als non-profit Nicht-Regierungsorganisation eine kraftvolle Verbrauchervertretung realisiert. Diese starke Position von Global 2000 und eine Verbraucherschutzkampagne, die über mehrere Jahre auf Pestizidrückstände in Lebensmitteln ausgerichtet war, führte dazu, dass die dort führende Supermarktkette BILLA gemeinsam mit Global 2000 in einer konzertierten Aktion Problemlösungen in Kooperation mit Bauern anging.

In der Sektion "Creating an agenda for success" wurden Strategien sowie Elemente für erfolgreiche Initiativen zur Pestizidreduktion diskutiert. Zunächst wurde festgestellt, dass mehr Austausch, wie er im Rahmen dieses Workshop stattfand, organisiert werden sollte. Dies wurde betont, weil viele Erfolge nationaler Bemühungen zur Pestizidreduktion nur aus dem nationalen Zusammenhang entstehen und verständlich sind. Es sollte deshalb nicht per se von einer Übertragbarkeit positiver Beispiele aus einzelnen Ländern ausgegangen werden. Dementsprechend wurde die EU zwar als wichtiger Akteur von Rahmenbedingungen benannt. Dabei sei jedoch ausreichend Raum für nationale Aktivitäten zu geben. Die EU müsse anspruchsvolle Standards für den Verbraucher-, Arbeits- und Umweltschutz setzen und zudem agrar- und lebensmittelpolitische Bedingungen beseitigen, die den intensiven Pestizideinsatz fördern. Kraftvolle Pestizidreduktionsprogramme seien nur dann zu erwarten, wenn innerhalb der Länder in der Gesellschaft breit verankerte Initiativen entstünden. Diese müsse die EU stärker als bisher begünstigen. Als Beispiele nationaler Besonderheiten wurden Dänemark (zentrale nationale Strukturen für die Entwicklung und Umsetzung des Programms, Steuer wichtiges Steuerungselement), Deutschland (föderaler Staat, in dem ein Reduktionsprogramm nur bei Mitarbeit der Länder greifen kann), UK (mit einem gut implantierten name-and-shame System als Antriebskraft für privatwirtschaftliche Initiativen) und Österreich (mit einer starken Rolle der Konsumentenvertretung und einer beispielgebenden Kooperation zwischen NGO und dem wichtigsten Akteur im Handel) benannt. Positive Beispiele anderer Ländern müssten bezüglich ihrer Übertragbarkeit immer vor dem Hintergrund der Kenntnis nationaler Besonderheiten analysiert werden.

Für UK und Deutschland wurde als wichtig erachtet, dass der Austausch zwischen dem biologischen und dem konventionellen Landbau verstärkt wird. Zudem müsse die praktische Beratung der Agrarbetriebe im Sinne der Pestizidreduktion ausgebaut und die Dokumentation des Pestizideinsatzes vollständig implantiert werden. Vielen TeilnehmerInnen war wichtig, sowohl hier als auch dort ökonomische Steuerungsinstrumente zu prüfen.

Aus: Pestizid-Brief September/Oktober 2005, PAN Germany

Die Dokumentation des Workshop ist unter http://www.pan-germany.org/download/pure_con_0507.pdf als Download (pdf-file; 1,09 MB) verfügbar.

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