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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Neues Umweltgutachten:
Sachverständigenrat für 30% Pestizidreduktion bis 2008

01.05.2004, Ulf Jacob

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) hat am 5. Mai sein Umweltgutachten 2004 an Bundesumweltminister Trittin übergeben. Dieses 9. Hauptgutachten steht unter dem Motto "Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern". Es befasst sich u.a. mit der notwendigen Reduktion des Pestizideinsatzes in Deutschland. In seinem jüngsten Umweltgutachten widmet sich der SRU in den Kapiteln "4.3 Nachhaltige Nutzung von Pflanzenschutzmitteln" und "5.3 Gewässer/ Grundwasser" ausführlich dem Thema Pestizidpolitik. Der Rat stellt fest, dass trotz der erheblichen Belastungen, die von Pflanzenschutzmitteln (PSM) ausgehen, und der Aussagen der Landwirtschaft, den PSM-Einsatz zu minimieren, der Absatz von PSM in Deutschland seit über zehn Jahren auf einem hohen Niveau verharre (34.000 Tonnen/2001). Die Gutachter gehen sogar von einer "bedenklichen" indirekten Erhöhung des eingesetzten Wirkstoffpotenzials aus. Der Rat nennt zwei Begründungen für diese Aussage: Bis zu 30% der tatsächlich angewendeten PSM werden von den Landwirten direkt eingeführt. Und: Moderne PSM enthalten hochwirksame Wirkstoffe, sodass eigentlich eine Verringerung der eingesetzten Wirkstoffmenge zu erwarten wäre.

Der Umweltrat bewertet zudem die Situation der Belastung des deutschen Grundwassers mit Pestiziden. Sein Fazit: Aufgrund des ungebrochenen Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in der Land- und Forstwirtschaft und des nachweislich langen Verbleibs von Schadstoffen im System der Boden-Grundwasserleiter sind weiter zunehmende Kontaminationen des Grundwassers zu erwarten. Erforderlich sei daher "eine rigorose Verhaltensänderung im Hinblick auf den Einsatz von Dünge-, Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln sowie Tierarzneimitteln." Der SRU stellt im gleichen Zusammenhang fest, dass in der Landwirtschaft bisher keine hinreichende Bereitschaft erkennbar ist, derartige Maßnahmen flächendeckend einzuleiten.

Pestizid-Reduktionsprogramm
Breiten Raum nehmen die aktuellen Ansätze für ein Pestizid-Reduktionsprogramm in Deutschland und die "Thematische Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden" in Europa ein. Dazu der Sachverständigenrat: "Die bestehenden Regelungen der Pflanzenschutzgesetzgebung sind unzureichend, um eine sichere und minimale Anwendung von PSM zu gewährleisten. Aufgabe der Politik ist es, mit einer umfassenden Pflanzenschutzstrategie der Landwirtschaft einen zielorientierten Handlungsrahmen zu geben, der neue und bereits bestehende Möglichkeiten für die Minimierung des PSM-Einsatzes verdeutlicht, fördert und verstärkt. In diese Strategie müssen die Rahmenbedingungen, die den PSM Einsatz in der Landwirtschaft wesentlich mitbestimmen (Landwirtschaftspolitik, Verbraucherverhalten, Umweltschutzanforderungen, Wettbewerb), in geeigneter Weise einbezogen und neue Rahmenbedingungen für einen innovativen, umweltorientierten Prozess im Pflanzenschutz geschaffen werden." Der Umweltrat begrüßt zwar die "Verbesserung der Pflanzenschutzpolitik", kritisiert aber gleichzeitig das Fehlen quantitativer Zielsetzungen inklusive zeitlicher Fristen in beiden Strategien. Gefordert wird, eine Reduktion des PSM-Aufwandes um 30% als Ziel bis 2008 in das deutsche Reduktionsprogramm aufzunehmen. Dies insbesondere vor dem herrschenden Konsens, dass allein im Rahmen der guten fachlichen Praxis eine derartige Verminderung möglich ist. Die definierten Indikatoren im deutschen Programm, nämlich die Einhaltung des "notwendigen Maßes" gemessen am Behandlungsindex ausgewählter Referenzbetriebe, ist nach Ansicht des SRU für die Betriebsebene ein geeigneter Indikator und lässt sich mit einem übergeordneten Reduktionsziel vereinbaren. Zur transparenten Kommunikation der Erfolge einer PSM-Reduktionsstrategie sollten, so der Rat, die durch Erweiterung des Ökoanbaus eingesparten PSM-Aufwandmengen getrennt von den Einsparungen durch den konventionellen Anbau erfasst und in der Öffentlichkeit dargestellt werden. Die Umweltgutachter bemängeln zudem an der thematischen Strategie in Europa, dass sie die relevanten Aspekte aus benachbarten Politikbereichen, insbesondere der Landwirtschaftspolitik, nicht wesentlich einbezieht. Gefordert wird, dass die Strategie der EU vor allem EU-weite Reduktionsziele und EU-weit Anforderungen für nationale Reduktionsprogramme verbindlich festlegt. Im Rahmen der Strategie sollte nach Ansicht des Rates zudem "ein Diskussionsprozess zur Definition von pflanzenkulturspezifischen Kriterien für den Integrierten Anbau in Gang gesetzt werden und diese Zielsetzungen und Maßnahmen in angrenzende Politikbereiche, insbesondere in die Reform der EU-Agrarpolitik, integriert werden".

Pestizidabgabe
Zum Thema Pestizidabgabe vollzieht der Umweltrat eine Kehrtwende im Vergleich zu früheren Forderungen. Da inzwischen eine Reihe internationaler Erfahrungen vorliegen, empfiehlt der SRU jetzt ausdrücklich eine Pestizidabgabe. Diese "induziert (..) mittel- bis langfristige Anreize, weniger umweltbeeinträchtigende Substanzen zu entwickeln und einzusetzen." Und: "Die Bemessungsgrundlage der Abgabe sollte dabei möglichst an der umweltbelastenden Wirkung des PSM ansetzen." Der SRU fordert weiter, die Einnahmen aus der Abgabe für eine bessere Pflanzenschutzberatung und im Bereich der Forschung und Entwicklung umweltschonender Pflanzenschutz- und Anbaumethoden zweckgebunden zu verwenden.

Pestizidzulassung
Einer der Hauptkritikpunkte des Rates an der bestehenden EU-Richtlinie für die Zulassung von Pestiziden ist, dass es derzeit an eindeutigen Kriterien für die Aufnahme oder Ablehnung eines Wirkstoffes mangelt und keine klaren Ausschlusskriterien (cut off criteria) für kritische Eigenschaften (Persistenz, Toxizität, Bioakkumulierbarkeit) bestehen. Außerdem beziehe das Bewertungsverfahren die bestehenden Unsicherheiten (hormonelle Wirkungen, synergistisch wirkende Hilfsmittel, additive und synergistische Wirkungen mehrerer Wirkstoffe in der Umwelt) nur unzureichend ein. Zudem würden bei der Aufnahme eines Stoffes in den Annex I der Zulassungs-Richtlinie die geprüften "sicheren" Anwendungen unzureichend kommuniziert.

Der Umweltrat befasst sich auf nationaler Ebene besonders mit dem Problem der Lückenindikation: In einem Ausnahmeverfahren (nach § 18 PflSchG) können PSM auch für andere Indikationen als genehmigt zugelassen werden. Die Schließung von Indikationslücken mit verfügbaren chemischen Pflanzenschutzmitteln hält der Rat allein jedoch als ein wenig aussichtsreiches Verfahren, da weitere Lücken insbesondere durch Resistenzbildung oder durch Zulassungsrücknahmen ständig neu entstehen werden. Die Indikationslücken würden die begrenzten Möglichkeiten des chemischen Pflanzenschutzes widerspiegeln. Die Forschung und Entwicklung nicht-chemischer Verfahren sollten laut Rat deshalb erheblich gefördert werden. Der Umweltrat empfiehlt zudem, das nationale Zulassungsverfahren im Hinblick auf den Gewässerschutz zu modifizieren, die Zulassungsdauer zu verkürzen sowie ein Nachzulassungsmonitoring einzuführen. Der Umweltrat fordert zudem eine Rezeptpflicht für die Anwendung von (Total-) Herbiziden auf Nicht-Kulturland. Zudem solle generell der Einsatz verlustmindernder Spritz- und Ausbringungstechnik zur Auflage gemacht werden.

Pestizidanwendung und Reduktion
Der Umweltrat stellt fest, dass die gute fachliche Praxis als Instrument für die Umsetzung des Reduktionsprogramms in der vorliegenden Form nicht ausreichend ist. Notwendig seien höhere Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verbindlich formulierte Handlungsanweisungen und eine stärkere Durchsetzung der Grundsätze des Integrierten Pflanzenschutzes. Zur Umsetzung des Reduktionsprogramms sollten, so der Rat, die Grundsätze zur guten fachlichen Praxis in zwei Abschnitte unterteilt werden: Ein allgemeiner Teil mit einer vollständigen Wiedergabe der rechtlichen Bestimmungen, die alle Produktionsbereiche betreffen und ein zweiter Teil mit speziellen Regelungen für die einzelnen Anbaukulturen. Das heißt, für jede Kulturart sollte festgeschrieben werden, was gute fachliche Praxis und was Integrierter Pflanzenschutz bedeuten. Der Umweltrat unterstützt ausdrücklich den Vorschlag, eine schlagspezifische Dokumentation des PSM-Einsatzes einzuführen. Er sieht dies als wichtigste Grundlage für eine an den Reduktionszielen ausgerichtete Beratung.

Ein bundesweites regelmäßiges Monitoring der Belastung von Luft, Böden und Fließgewässern fehle ebenso wie eine wirksame Kontrolle der Einhaltung der Anwendungsvorschriften von PSM insgesamt. Für den Umweltrat ist der Ausbau der Überwachungsprogramme ein wichtiger Eckpunkt einer Strategie der nachhaltigen Nutzung von PSM, um die grundsätzliche Belastungssituation mit PSM zu beurteilen, um die Wirksamkeit der Instrumente zu gewährleisten und die Zielerreichung der Reduktionsstrategie zu dokumentieren.

Das vollständige Gutachten sowie die Kurzfassung und die 12 Eckpunkte (Presseerklärung) können auf der Webseite des SRU abgerufen werden.
Die Kurzfassung des UG2004 ist zu finden unter: http://umweltrat.de/02gutach/downlo02/umweltg/UG_2004_kf.pdf,
die Langfassung unter: http://umweltrat.de/02gutach/downlo02/umweltg/UG_2004_lf.pdf.
Die 12 Eckpunkte (Presseerklärung) finden sich unter: http://www.umweltrat.de/04presse/downlo04/premitt/Presse_UG2004_Eckpunkte.pdf
SRU-Geschäftsstelle: Reichpietschufer 60, 10785 Berlin, Tel. 030-263696-0, http://www.umweltrat.de

(Aus: PAN Germany, Pestizid-Brief Mai/Juni 2004)

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