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Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

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Warum Risikobeurteilungen auch für Mischungen von Stoffen notwendig sind

01.10.2005, PAN Germany

Im Folgenden stellen wir Ihnen den Abdruck der Kurzversion einer Stellungnahme von PAN Germany zur Verfügung. Darin geht es um die Risikobeurteilung von Mischungen von Stoffen, wie sie oft als Pestizidrückstände in Lebensmitteln und in der Umwelt vorkommen. Diese Stellungnahme wurde im Vorfeld des zweiten BfR Forum Verbraucherschutz erstellt, im Rahmen dessen sich PAN Germany dafür aussprach, umgehend entweder einen Summengrenzwert für Mehrfachrückstände von Pestiziden zu verabschieden oder im Rahmen der Festsetzung von Höchstmengen für Pestizidrückstände einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor für Mehrfachrückstände anzuwenden.

Seit über 20 Jahren engagiert sich das deutsche Pestizid Aktions-Netzwerk – PAN Germany – national und international für eine nachhaltige Landwirtschaft, in der auf den Einsatz gefährlicher Pestizide verzichtet wird. Zu diesem Engagement gehört auch, auf die von Pestiziden ausgehenden Gefahren für Mensch und Umwelt und auf Möglichkeiten der Gefahrenreduktion hinzuweisen. Pestizide gelten im Allgemeinen als gut toxikologisch untersucht, und ihr Einsatz ist durch eine Vielzahl von gesetzlichen Regelungen reguliert. Dabei wird aber so vorgegangen, als würden Pestizide nur als Einzelstoffe eingesetzt und als müssten entsprechend nur die Gefahren und Risiken durch diese Einzelstoffe abgeschätzt werden. Dass aber aus dem gleichzeitigen Vorkommen mehrerer Schadstoffe Wirkungen resultieren, die sich von den Wirkungen der Einzelsubstanzen unterscheiden, wird seit mehr als 100 Jahren in nahezu allen biowissenschaftlichen Disziplinen untersucht und berichtet.

Der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema wie auch die Vielzahl experimenteller Arbeiten sind synoptisch aufgearbeitet und münden in Empfehlungen, wie Kombinationswirkungen in Risikobeurteilung und im Risikomanagement einbezogen werden sollten. Die regulative Praxis macht davon aber bisher kaum Gebrauch. Bei der Festlegung von Grenzwerten für Lebensmittel werden diese Erkenntnisse bisher nicht berücksichtigt.

PAN Germany will mit diesem Bericht den Wissensstand zu Kombinationswirkungen zusammenfassen und die Regulierungsbehörden auffordern, zu einer methodisch begründeten und regelmäßigen Berücksichtigung von Kombinationswirkungen bei der Risikobewertung von Pestiziden zu kommen. Konkreten Anlass hierfür bietet zum Beispiel die neue EU-Verordnung zur Setzung von Rückstandshöchstmengen für Pestizide in Lebensmitteln. Die Probleme durch Mehrfachexpositionen müssen aber insbesondere auch bei der Ausgestaltung des deutschen Pestizidreduktionsprogramms berücksichtigt werden und zu besonderen Schutzmaßnahmen im Sinne des Vorsorgeprinzips führen.

Ausgangslage

(1) Pestizide und andere Chemikalien treten in der Umwelt des Menschen nicht einzeln auf. Hingegen sind Mehrfachbelastungen die Regel.

(2) Das gemeinsame Auftreten mehrerer Stoffe in der Umwelt ist nicht nur Folge ungewollten Zusammentreffens, sondern auch Konsequenz des gezielten Einsatzes von Stoffgemischen. So werden in der landwirtschaftlichen Produktion Pestizide mit mehreren Wirkstoffen direkt in die Umwelt eingebracht. Die Verwendung mehrerer der biologisch hoch potenten Wirkstoffe auf ein und derselben Ackerfläche ist zudem übliche Praxis.

(3) Während bei gezieltem Einsatz mehrerer Chemikalien ein besonderer Nutzen durch deren Kombination unterstellt wird, wird bei der derzeitigen Risikobewertung eine besondere Gefährdung durch eben diese Mischungen ausgeschlossen. Entweder wird die Existenz von wissenschaftlichen Verfahren zur Abschätzung von Kombinationswirkungen von Risikoregulatoren in Abrede gestellt, oder die Bedeutung von Kombinationswirkungen für Gefährdungs- und Risikoabschätzungen wird mit Verweis auf die auftretenden niedrigen Konzentrationen im Vergleich zu höheren Grenzwerten negiert. Insbesondere letzterer Hinweis auf die angeblich fehlende toxikologische Evidenz für Kombinationswirkungen wird von den bekannten und gut dokumentierten Ereignissen eindeutig widerlegt.

(4) Die wissenschaftliche Bearbeitung der Analyse von Kombinationswirkungen hat bereits eine 100-jährige Tradition und führte zu einer geradezu unübersehbaren Vielzahl an theoretischen und experimentellen Monographien aus nahezu allen biomedizinischen Wissenschaftsdisziplinen, zu Publikationen mit Lehrbuchcharakter, zur Gründung von wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Arbeitskreisen. Der gegenwärtige Stand der Kombinationswirkungs-Analyse kann wie folgt zusammengefasst werden.

Feststellungen

(1) Die Vorhersage von Kombinationswirkungen kann in der Regel aufgrund von zwei einfachen pharmakologisch/toxikologischen Konzepten, nämlich der "Konzentrations-Additivität" und der "Unabhängigen Wirkung" erfolgen.

(2) Begriffe wie Synergismus oder Antagonismus sind nur in Bezug auf eine Wirkungserwartung sinnvoll.

(3) Der Normalfall des Zusammenwirkens mehrerer Stoffe besteht in deren additiver bzw. unabhängiger Wirkung.

(4) Additive als auch unabhängige Wirkungen mehrerer Stoffe sind stärker als die der Einzelstoffe.

(5) Auch Stoffe, die in Konzentrationen unterhalb ihrer No Observed Effect Concentration (NOEC) vorkommen, ergeben relevante Kombinationswirkungen.

(6) Die Berücksichtigung von Kombinationswirkungen in der Risikobeurteilung ist möglich und geboten.

Fazit

Mischungen von Pestiziden treten in der Umwelt und in Lebensmitteln regelmäßig als Folge ihres bestimmungsgemäßen Einsatzes auf. Kombinationswirkungen aufgrund von Mischungsbelastungen gelten als wahrscheinlich und können in einer Gefährdungsbeurteilung nach Stand der Wissenschaft berücksichtigt werden. Dies wird in der gegenwärtigen Praxis regulativer Risikobeurteilung allerdings nicht umgesetzt und stellt damit ein gravierendes Sicherheitsrisiko für Gesundheit und Umwelt dar.

Nach Auffassung von PAN Germany ist es die Aufgabe der Regulierungsbehörden, zu prüfen, welche Option im jeweiligen Rechtsrahmen für das Erreichen der Schutzziele optimal ist. Die Behörden sind aufgefordert, das Auftreten von Pestizidmischungen bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigen. Denkbar ist das Setzen von Summengrenzwerten, die Verwendung eines zusätzlichen Sicherheitsfaktors bei der Festlegung von Einzelstoffgrenzwerten sowie das Dividieren der Grenzwerte der Einzelstoffe durch die Anzahl der Mischungspartner.

Für synergistische Effekte, wie sie mitunter beobachtet werden, ist mit den o.g. Optionen jedoch kein Schutz erreicht, da es für diese bislang kein einfaches Vorhersagemodell gibt. Dies lässt auf eine weitere, wichtige Option verweisen, nämlich der Anwendung des Vorsorgeprinzips. Hier kann nur die Politik ansetzen, indem u.a. das deutsche Pestizidreduktionsprogramm effektiv weiterentwickelt und umgesetzt wird.

Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany), Oktober 2005

Die Langfassung dieser Stellungnahme kann von der PAN Germany Website unter http://www.pan-germany.org/download/ stellungnahme-kombi_wirk.pdf heruntergeladen oder gegen Kopier- und Portokosten bestellt werden.

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