09.06.2015, PAN Germany Pestizid-Brief 4-2015, Dr. Peter Clausing
Download dieses Artikels Glyphosat, das weltweit am häufigsten eingesetzte Herbizid, befindet sich in Europa im Prozess einer behördlichen Neubewertung. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte dabei eine Schlüsselfunktion. Während Nichtregierungsorganisationen und unabhängige WissenschaftlerInnen seit Jahren Bedenken hinsichtlich einer weiteren Zulassung von Glyphosat äußern, stellte das BfR dem Herbizid in seinem für die EU erstellten Bewertungsbericht eine Art "Persilschein" aus. Dieser Persilschein bekam deutliche Flecken, als im März 2015 die WHO-Agentur für Krebsforschung (IARC) Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" einstufte. Die nachfolgende Chronologie, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, listet auf, was sich zwischen Dezember 2013, als das BfR seinen Entwurf des Glyphosatbewertungsberichts fertigstellte, und Anfang Juni 2015 ereignete. Diese Chronologie mag für all jene hilfreich sein, die am Thema Glyphosat-Bewertung interessiert sind.
Hintergrund: In der EU ist vorgeschrieben, dass genehmigte Pestizidwirkstoffe alle zehn Jahre neu bewertet werden müssen. Dieser Prozess läuft derzeit für Glyphosat, das weltweit am häufigsten eingesetzte Herbizid, dessen geschätzter Anteil am globalen Herbizidmarkt 30% übersteigt und dessen in Deutschland ausgebrachte Menge sich innerhalb von 15 Jahren mehr als versechsfacht hat (1).
Die deutschen und slowakischen Behörden waren zuständig für die Erarbeitung des so genannten Renewal Assessment Reports (RAR), der die Grundlage für das Verfahren zur künftigen Zulassung oder Nichtzulassung von Glyphosat in der EU ist. Im April/Mai 2014 wurde der Entwurf des RAR (2) öffentlich zugänglich gemacht und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bot die Möglichkeit zur Kommentierung. Europaweit haben zahlreiche Personen und Organisationen ihre Kommentare abgegeben, darunter auch PAN Germany. Ob und wie die Kommentare berücksichtigt wurden, ist bislang nicht bekannt, da die vom BfR aktualisierte Fassung des RAR (Version vom 29.1.2015) für die Zivilgesellschaft bislang nicht zugänglich ist. Im Gegensatz dazu hatten Vertreter der Industrie offensichtlich diesen Zugang (vgl. Chronologie, 24.2.2015). Im Dezember 2014 veröffentlichten PAN Germany und die Agrarkoordination/FIA die Broschüre "Roundup & Co. - Unterschätzte Gefahren" (1), in der eine Reihe der Bedenken, die bei der EFSA eingereicht wurden, wiedergegeben sind. Am 20. März 2015 veröffentlichte die International Agency for Research on Cancer (IARC), eine Institution der Weltgesundheitsorganisation (WHO), eine zweiseitige Kurzinformation (3) über eine noch unveröffentlichte Monographie, in der Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" (IARC-Kategorie 2A) eingestuft wurde. Diese 2A-Einstufung durch die IARC ist für die Europäische Union von großer Bedeutung. Denn in der EU ist seit 2009 gesetzlich geregelt (4), dass als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen eingestufte Pestizidwirkstoffe, laut EU-Nomenklatur karzinogene Substanz der Kategorie 1A oder 1B (5), nicht genehmigt werden und somit nicht in Pestizidprodukten enthalten sein dürfen (3). Dementsprechend groß war das Echo auf die IARC-Mitteilung. Doch das BfR, das Glyphosat als "nicht krebserregend" eingestuft hat, beharrt bislang auf der Richtigkeit seiner Beurteilung (6).
Die folgende Chronologie der Ereignisse bietet eine Übersicht über die Ereignisse.
Die Auseinandersetzung um die konsequenzenreiche Frage, ob Glyphosat "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" ist, dauert an. Die Einschätzung des BfR ("nicht krebserregend") und der 17-köpfigen, auf das Thema Krebs spezialisierten Expertengruppe des IARC ("wahrscheinlich krebserregend beim Menschen") klaffen weit auseinander. Nach der für Juli 2015 erwarteten Veröffentlichung der IARC-Monographie Nr. 112 kann die Diskussion konkreter werden. Eine Chance, diese Diskussion schon am 8.6.2015 weiterzuführen, wurde vom BfR vertan.
Würde Glyphosat seine Genehmigung verlieren und stünden damit glyphosathaltige Pestizide nicht mehr zur Verfügung, brächte dies für den konventionellen Landbau erhebliche Probleme bei der chemischen Unkrautkontrolle mit sich, denn mit den dann verbleibenden Wirkstoffen wäre ein effektives Resistenzmanagement bei gleich bleibenden Anbaupraktiken kaum möglich. Der Wegfall von Glyphosat könnte im besten Fall ein Schritt in Richtung einer pestizidfreien Landwirtschaft sein. Ein Verzicht auf Herbizide ist möglich. Doch weil sich die Agrarwirtschaft seit Jahrzehnten auf den Herbizideinsatz verlässt um Zeit und Geld zu sparen und um kulturtechnische Fehler auszubügeln, fehlt es bislang an einer Verbreitung und Weiterentwicklung praktikabler nicht-chemischer Alternativen.
(Dr. Peter Clausing, PAN Germany)
∗ Unter Oxidativem Stress versteht man die erhöhte Bildung reaktiver Sauerstoffverbindungen, so dass die Entgiftungsmechanismen des Organismus bzw. bestimmter Gewebe überfordert werden.
Quellen
(1) Agrarkoordination & FIA e.V., Pestizid, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (Hrsg.. 2014): Roundup & Co.- Unterschätzte Gefahren. Hamburg, 2014. http://www.pan-germany.org/download/Glyphosat-Broschuere_2014.pdf
Dokumentation der Tagung: http://www.agrarkoordination.de/news/newsdetails/?tx_ttnews[tt_news]=426&cHash=6aa7737966d9d0ebcd7f639af5ea56c7
(2) BfR (2013): Renewal Assessment Report. Glyphosate. Volume 3, Annex B.6.1 Toxicology and metabolism. 18.12.2013. http://dar.efsa.europa.eu/dar-web/provision
(3) IARC (2015): Carcinogenicity of tetrachlorvinphos, parathion, malathion, diazinon, and glyphosate. The Lancet Oncology, 20.3.2015. http://www.gmofreeusa.org/wp-content/uploads/2015/03/2015_03_TheLancetOncology_CarcinogenicityOfTetrachlorvinphosParathionMalathionDiazinonGlyphosate.pdf
(4) Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 Des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R1107&from=DE
(5) Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008R1272&qid=1433781153212&from=DE
(6) Löst Glyphosat Krebs aus? Mitteilung 007/2015 des BfR vom 23.3.2015. http://www.bfr.bund.de/cm/343/loest-glyphosat-krebs-aus.pdf
(7) Fragen und Antworten zur gesundheitlichen Bewertung von Glyphosat Aktualisierte FAQ des BfR vom 15.1.2014. http://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zur_gesundheitlichen_bewertung_von_glyphosat-127823.html
(8) Stellungnahme des BUND zur gesundheitlichen Bewertung von Glyphosat durch das Bundesinstitut für Risikowertung, Stand: 28.1.2014. http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/chemie/pestizide/140128_bund_chemie_glyphosat_bfr_stellungnahme.pdf
(9) EU-Wirkstoffprüfung zu Glyphosat: Stand der Dinge und Ausblick Mitteilung des BfR Nr. 002/2015, 14.1.2015. http://www.bfr.bund.de/cm/343/eu-wirkstoffpruefung-zu-glyphosat-stand-der-dinge-und-ausblick.pdf
(10) Greim, H., Saltmiras, D., Mostert, V., Strupp, C.: Evaluation of carcinogenic potential of the herbicide glyphosate, drawing on tumor incidence data from fourteen chronic/carcinogenicity rodent studies. Crit. Rev. Toxicol. 45: 185-208
(11) BfR-Zuarbeit im EU-Genehmigungsverfahren von Glyphosat abgeschlossen. Mitteilung Nr. 008/2015 des BfR vom 2. April 2015. http://www.bfr.bund.de/cm/343/bfr-zuarbeit-im-eu-genehmigungsverfahren-von-glyphosat-abgeschlossen.pdf
(12) Dutch Parliament Bans Glyphosate Herbicides for Non-Commercial Use. Sustainable Pulse, Blogeintrag vom 4.4.2015. http://sustainablepulse.com/2014/04/04/dutch-parliament-bans-glyphosate-herbicides-non-commercial-use/#.VXZw30bOt5I
(13) Offener Brief an den EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis vom 7.4.2015. http://www.pan-germany.org/download/Letter_Mr_Andriukaitis_April_15_IARC.pdf
(15) Löst Glyphosat Krebs aus? Wichtige Lücke in Risikobewertung deutscher Behörde. Presseinformation von PAN Germany und Testbiotech vom 15.4.2015. http://www.pan-germany.org/download/presse/PI_PAN_TestBioTech_GLYPHO_D_150415_final.pdf
(16) Working Group of the Advisory Group on the Food Chain, Animal and Plant Health. Ad hoc Dialogue event on risk assessment of active substances in plant protection products. Summary Report, 24.4.2015
(17) Hofreiter, A., Ebner, H.: Kunden vor Krebs schützen - Verkaufsstopp für Unkrautvernichtungsmittel mit Glyphosat. Offener Brief vom 5.5.2015. https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/verbraucherschutz/Baumarkt-Brief_Glyphosat_Hofreiter_Ebner.pdf
(18) Thema Glyphosat nicht auf die lange Bank schieben. Pressemitteilung der Verbraucherschutzministerkonferenz vom 8.5.2015. https://www.verbraucherschutzministerkonferenz.de/Presse.html
(19) Glyphosat: Bund sträubt sich gegen sofortiges Verbot. Neue Osnabrücker Zeitung v. 8.5.2015. http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/573484/glyphosat-bund-straubt-sich-gegen-sofortiges-verbot
(20) REWE Group nimmt Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat aus Baumarkt-Sortiment. Pressemitteilung der REWE Group vom 11.5.2015 http://www.rewe-group.com/de/newsroom/pressemitteilungen/1422.html
(21) Kolumbien verbietet Gifteinsatz. Bonner Generalanzeiger vom 11.5.2015 http://www.genios.de/presse-archiv/artikel/GAZ/20150511/kolumbien-verbietet-gifteinsatz-das/201505112392471.html
(22) Bioland fordert Pestizidverbote: Keine Neuzulassung von Glyphosat und Neonikotinoiden. Pressemitteilung vom 12.5.2015 http://www.bioland.de/presse/presse-detail/article/bioland-fordert-pestizidverbote-keine-neuzulassung-von-glyphosat-und-neonikotinoiden.html
(23) Statement of the GTF on the recent IARC decision concerning glyphosate. http://www.glyphosate.eu/gtf-statements/statement-gtf-recent-iarc-decision-concerning-glyphosate
(24) Krebsverdacht bei Glyphosat - EFSA soll untauglichen Bericht nach Deutschland zurückschicken. Pressemitteilung, Martin Häusling MdEP vom 20.5.2015. http://www.martin-haeusling.eu/presse-medien/pressemitteilungen/964-krebsverdacht-bei-glyphosat-efsa-soll-untauglichen-bericht-nach-deutschland-zurueckschicken.html
(25) Sri Lankan President orders to ban import of glyphosate with immediate effect. Colombo Page vom 22.5.2015 http://www.colombopage.com/archive_15B/May22_1432308620CH.php
(26) Appell an die Bayer AG: Glyphosat und Glufosinat freiwillig vom Markt nehmen. Gemeinsame Pressemitteilung von Agrar Koordination, Coordination gegen Bayergefahren (CBG) und Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany) vom 26.5.2105 http://www.pan-germany.org/deu/~news-1340.html
(27) Roundup kommer på Arbejdstilsynets kræftliste. Meldung des dännischen Fernsehkanals TV2 vom 28.5.2015. http://nyhederne.tv2.dk/2015-05-28-roundup-kommer-paa-arbejdstilsynets-kraeftliste
(28) Glyphosate Monograph publication scheduled for July 2015. IARC-Mitteilung vom 1.6.2015 http://www.iarc.fr/en/media-centre/iarcnews/index1.php?year=2015
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