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Tödliche Pestizidvergiftungen von Menschen in Deutschland

02.03.2015, PAN Germany Pestizid-Brief 1-2015

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Vergiftungen durch Pestizide gelten als ein bedeutendes Problem insbesondere in den Ländern der Dritten-Welt. Die Weltgesundheitsorganisation schätzte schon 1990, dass weltweit jährlich ca. 3 Millionen Pestizidvergiftungen vorkommen, von denen ca. 220.000 tödlich verlaufen. Nach wie vor ist die Datenlage allerdings schlecht. Neuere weltweite Zahlen liegen jedoch für durch Pestizide verursachte Selbstmorde vor. Hiernach ist weltweit jährlich von ca. 370.000 Todesfällen in Folge einer beabsichtigten Einnahme von Pestiziden auszugehen, was ca. einem Drittel aller Suizide entspräche. Pestizide sind damit die weltweit bedeutendste Selbstmordmethode.

Die Schätzungen der weltweit vorkommenden Vergiftungen hängen von dem Vorhandensein und der Qualität der länderspezifischen Zahlen ab. Zahlreiche Voraussetzungen zur Erfassung und Veröffentlichung von Vergiftungsdaten wie das Vorhandensein eines engmaschigen Gesundheitsnetzes, eine ärztliche Verpflichtung zur Meldung diagnostizierter Pestizidvergiftungen, Schulungen für Ärzte, solche Vergiftungen zu erkennen, eine entsprechende Entlohnung des Meldeaufwandes und ein Berichtswesen, dass die Daten zusammenfasst und veröffentlicht, werden von vielen Ländern nicht erfüllt. Fälle von Pestizidvergiftungen werden auch in Deutschland nicht zusammenfassend ausgewertet.

Länderspezifische Zahlen über Pestizidvergiftungen sind nicht nur als Grundlage für weltweite Schätzungen erforderlich, sondern sie ermöglichen auch erst die Beobachtung von Trends. Zunehmende Vergiftungen lassen etwa besondere Problemfälle bei der Vermarktung und Anwendung erkennen, abnehmende Zahlen könnten etwa auf die Wirkungen von Präventionsstrategien hinweisen, die auf eine Verringerung von Vergiftungsfällen abzielen.

In Statistiken schlagen sich zumeist nur die kurzfristigen Folgen von Vergiftungen, die sogenannten akuten Vergiftungen, nieder. Obwohl man unter Vergiftungen grundsätzlich alle Gesundheitsstörungen versteht, die durch Einwirkungen von Stoffen zustande kommen, kann dieser Zusammenhang leicht übersehen werden. Symptome, die unspezifisch sind und möglicherweise erst langfristig nach einer Exposition oder erst in Folge einer längerfristigen Exposition auftreten, schlagen sich kaum in den Vergiftungsstatistiken nieder. Vergiftungsstatistiken geben daher lediglich einen Ausschnitt aus dem Vergiftungsgeschehen wieder.

Eine Auswertung der Sterbefälle für einen Zeitraum von 30 Jahren zeigt nun, dass sich die Zahl tödlicher Pestizidvergiftungen in Deutschland verringert hat. Während 1980 noch 506 Sterbefälle aufgrund von Pestizidvergiftungen verzeichnet wurden, waren es 2010 nur noch 39 Fälle. Die Zahlen für das Jahr 2010 zeigen, dass:

  • mehr als 50% der Todesfälle durch organophoshat- und carbamathaltige Insektizide verursacht wurden;
  • 72% der Todesfälle Männer betrafen;
  • 50% der Todesfälle bei Personen über 70 Jahre und nur 13% bei jüngeren unter 50 Jahren vorkamen.

Tödliche Vergiftungen

Die tödlichen Pestizidvergiftungen waren im gesamten Zeitraum überwiegend oder vollständig Folge von suizidalem Handeln. Der Anteil der durch Pestizide verübten Selbstmorde sank von 2,8% in 1980 auf 0,4% in 2010. Im gleichen Zeitraum reduzierte sich der Anteil aller Suizide an allen Todesfällen lediglich von 1,9 auf 1,2%. Pestizid-bezogene Selbstmorde nahmen also deutlicher ab, sodass der allgemeine Trend nicht als Erklärung für die Abnahme der tödlichen Pestizidvergiftungen ausreicht.

Auch eine etwaige geringere Humantoxizität der neuerdings vermarkteten Pestizide liefert keine ausreichende Erklärung. So hat sich die Anzahl der Pestizid-Wirkstoffe in Deutschland in den letzten 20 Jahren kaum verändert. Auch aktuell sind noch 16 als sehr giftig (T+) eingestufte Wirkstoffe in Pestiziden zugelassen. Eine geringe Humantoxizität wäre indes ein geeigneter Weg, Suizide zu verhindern, da Vergiftungen durch Pestizide im Vergleich zu anderen Substanzen mit einer höheren Sterblichkeit einhergehen. Selbstmordversuche mit Pestiziden enden also häufiger auch ungewollt tödlich.

Die wahrscheinlichste Erklärung für die in den letzten 30 Jahren um mehr als 95% reduzierte Anzahl von tödlichen Pestizidvergiftungen in Deutschland dürfte in der verringerten Verfügbarkeit von Pestiziden infolge europäischer und nationaler Regelungen liegen. Die deutschen Vergiftungszahlen können damit als ein Beispiel dafür aufgefasst werden, dass mit einer strengeren Regulierung der Vermarktung und des Einsatzes von Pestiziden tödliche Vergiftungen reduziert werden können. Wie aber Statistiken aus verschiedenen Ländern zeigen, kann keineswegs weltweit von einer Abnahme von tödlichen Pestizidvergiftungen ausgegangen werden. Dies ist vor dem Hintergrund, dass hoch toxische Pestizide auch in Armutsländern weiterhin leicht zugänglich sind, kaum überraschend.

Ein besondere Augenmerk sollte auch darauf gerichtet werden, dass Präventionsstrategien des Arbeits- und Verbraucherschutzes typischerweise auf unabsichtliche Expositionen gegenüber Pestiziden ausgerichtet sind. Selbstmorde wurden dagegen als Ausdruck individueller Notlagen außerhalb eines politischen Einflusses betrachtet. Inzwischen besteht allerdings Konsens in der Einschätzung, dass Suizide verhinderbar sind. 2013 hat die 66. Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) den ersten "Mental Health Action Plan" beschlossen. Suizidprävention ist darin ein zentrales Ziel, das u.a. durch die Beschränkung der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Pestiziden erreicht werden könne.

(Dr. Wolfgang Bödeker, PAN Germany)

Quellen:

Moebus, S, Bödeker, W. (2015): Mortality of intentional and unintentional pesticide poisonings in Germany from 1980 to 2010. Journal of Public Health Policy. http://www.palgrave-journals.com/jphp/journal/vaop/ncurrent/abs/jphp201456a.html

UN mental health action plan 2013-2020: http://www.who.int/mental_health/action_plan_2013/en/

Pestizide und Gesundheitsgefahren - Daten und Fakten. PAN 2012. Hamburg. http://www.pan-germany.org/download/Vergift_DE-110612_F.pdf

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