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Pestizide - ein relevanter Faktor im Suizidgeschehen

22.09.2014, PAN Germany Pestizid-Brief 8-2014

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Dem neuen Bericht "Preventing suicide - A global imperative" der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge geschahen 2012 geschätzt weltweit 804.000 Suizide und zudem weit mehr Suizidversuche. Zu den am meisten verbreiteten suizidalen Methoden zählt das Schlucken von Pestiziden. Mit einem Aktionsplan soll nun der hohen Anzahl von Suiziden begegnet werden.
Suizide, so die WHO-Generaldirektorin Dr. Margaret Chan im Vorwort des Berichtes, werden viel zu häufig nicht als wichtiges öffentliches Gesundheitsproblem wahrgenommen. Dies müsse sich ändern. Mit der Publikation des Berichtes zu Suiziden sei eine globale Wissensbasis geschaffen, die Regierungen und Politiker anleiten solle, sich des Problems stärker anzunehmen. Dies betrifft wesentlich auch die Verfügbarkeit von Pestiziden.

Der WHO-Bericht "Preventing suicide - A global imperative" (1) ist der erste seiner Art. Er beleuchtet das Thema Suizide strukturell und geht auf viele Facetten des Themas ein: die Epidemiologie, Risiko- und Schutzfaktoren und entsprechende Interventionen, die aktuelle Lage im Bereich der Suizidprävention und nationale Ansatzpunkte zur Reduzierung der Suizidrate. Mit dem Bericht liefert die WHO eine Basis für die Umsetzung des 2013 durch die WHO-Generalversammlung beschlossenen "Mental Health Action Plan 2013-2020". In diesem globalen Aktionsplan ist die Selbsttötung ein wichtiges Thema. Der Plan sieht u.a. vor, auf Länderebene die Suizidrate bis 2020 um 10% zu reduzieren.

Der Bericht beschreibt die Komplexität des Suizidthemas und betont, dass es nicht "den" Einzelfaktor, sondern eine ganze Reihe begünstigender, sich gegenseitig beeinflussender Faktoren gibt, zu denen persönliche, soziale, psychologische, kulturelle, biologische und Umweltfaktoren zählen. Mit Nachdruck weist die WHO darauf hin, dass Menschen, die einen Suizidversuch realisieren bzw. infolgedessen sterben, meist nicht unbedingt tatsächlich sterben wollen. Viele Suizide, so der Bericht, geschehen impulsiv in einem Krisenmoment. In solch einer Situation könne der leichte Zugang zu Mitteln der Selbsttötung - etwa hochgiftige Pestizide oder Feuerwaffen - darüber entscheiden, ob eine Person die Krisensituation überlebt oder stirbt.

Datengrundlage des Berichts sind Schätzungen zur globalen Gesundheit, die auf der "WHO mortality database" basieren. Diese Datenbank enthält Daten aus WHO-Mitgliedsländern. Die Daten spiegeln die erheblichen Schwierigkeiten wieder, qualitativ hochwertige Daten zu bekommen. Dies betrifft auch Informationen darüber, welche Mittel Menschen für Suizidversuche und Suizide benutzen. Nationale Daten über Suizidmittel seien, so der Bericht, leider nur sehr begrenzt verfügbar, weil die nationale Datenerfassung oft ungenügend sei. Der Bericht basiert daher auch auf wissenschaftlicher Literatur, die als Grundlage für die Schätzungen herangezogen wurde. Die mangelhafte Datenlage betrifft insbesondere jene Länder, die Todesarten nicht systematisch erfassen oder in denen der Suizidversuch illegal oder tabuisiert ist. Von den 172 WHO-Mitgliedsländern, in denen Schätzungen vorgenommen wurden, verfügen lediglich 60 über eine ausreichende Datenqualität. Für die übrigen Länder musste mit Modellen gearbeitet werden. Für Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen stützt sich der Bericht in besonderem Maße auf wissenschaftliche Literatur.

Suizide sind ein wesentlicher Faktor der weltweit sich ereignenden gewaltsamen Todesfälle. 56% aller gewaltsamen Todesfälle geschehen durch Suizide (50% bei Männern und 71% bei Frauen). Unter den 15-29-Jährigen sind Suizide die zweitbedeutsamste Todesursache. Das Problemfeld der Suizide ist jedoch weitaus größer. Es gibt Hinweise darauf, dass auf jeden der über 800.000 durch Suizid sterbenden Menschen mehr als 20 Menschen kommen, die einen Suizidversuch begangen haben. Eine starke soziale und ökonomische Belastung von Ländern und Kommunen sind daher nicht nur die Suizide, sondern insbesondere auch die Suizidversuche.

Suizide sind laut WHO vermeidbar. Für eine wirksame Ausrichtung von nationalen Programmen fehlen dem Bericht zufolge allerdings meist die Daten über Suizidmethoden. Nur 76 der 194 WHO-Mitgliedsländer erfassten 2005-2011 Daten über Suizidmethoden. Wie zu erwarten, ist die Datenlagen in Ländern mit hohem Einkommen besser. In diesen Ländern steht das Erhängen an erster Stelle, gefolgt von Feuerwaffen (wobei diese besonders in Amerika relevant sind). Der Bericht stellt fest, dass die meisten Suizide in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen (75,5%) geschehen und in diesen Ländern die Selbstvergiftung mit Pestiziden als Methode im Vordergrund steht. Dies ist ganz besonders in jenen Ländern der Fall, in denen eine hohe Anzahl von Menschen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft involviert ist.

Eine in dem Bericht zitierte systematische Analyse von weltweit verfügbaren Daten für 1990-2007 schätzt, dass ca. 30% der globalen Suizidfälle auf die Verwendung von Pestiziden zurückzuführen sind, wovon die meisten in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen geschehen (2). Auf der Grundlage dieser Schätzung gelangt die WHO in dem Bericht zu der Aussage, dass das Schlucken von Pestiziden zu den weltweit am meisten verbreiteten Pestizidmethoden zählt. Falls dies tatsächlich der Fall ist, so der WHO-Bericht, hätte dies wesentliche Implikationen für die Suizidvermeidung, weil die Beschränkung von Pestiziden oft, obwohl schwierig, eher angeraten ist, als Maßnahmen zur Vermeidung des Erhängens zu implementieren.

Um eine bessere Grundlage für nationale Aktionspläne zu bekommen, sollten Regierungen dem Bericht zufolge detailliertere Daten über das suizidale Geschehen erheben. Damit nationale Gegenmaßnahmen greifen können, sei eine multisektorale Strategie zur Suizidvermeidung erforderlich - dazu zähle u.a. der Gesundheits-, Bildungs-, Arbeits- und Landwirtschaftssektor. Ein wirksames Mittel gegen Suizide und Suizidversuche sei, den Zugang zu den bedeutsamsten Mitteln zu beschränken, einschließlich Pestizide, Feuerwaffen und bestimmte Tabletten. Daraus resultiert der WHO-Vorschlag, Zugangsbeschränkungen zu Suizidmitteln zu implementieren und dabei die besonders tödlichen Methoden prioritär zu behandeln.

Der Bericht betont, dass nationale Programme das lokal oft sehr unterschiedliche Suizidgeschehen berücksichtigen sollten. Als Beispiel nennt der Bericht das Schlucken von Pestiziden, das vorrangig in ländlichen Gebieten geschehe, sodass die Beschränkung des Zuganges zu Pestiziden nicht zwingend in städtischen Gebieten als vorrangige Maßnahme angeraten sei, auch wenn es sich um ein Land handele, in dem Pestizide national als Suizidmethode eine große Rolle spielen. Zudem seien Pestizide bezüglich ihrer Todesrate zu unterscheiden, da die suizidbedingte Todesrate in Krankenhäusern je nach Pestizid zwischen 0% und 42% liegen könne.

Mit Blick auf die Behandlung von suizidalen Personen weist der Bericht darauf hin, dass die medizinische Behandlung von suizidbedingten Pestizid-Vergiftungen in vielen Ländern oftmals mit großen technischen Schwierigkeiten verbunden ist. Sachgemäße medizinische Krankenhaus-Ausrüstung sei in vielen ländlichen Gebieten von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen nicht vorhanden.

Nationalen Handlungsbedarf sieht der Bericht auch bezüglich der internationalen Politik. Er schlägt den Ländern die Ratifizierung, Implementierung und Durchsetzung von internationalen Konventionen zu gefährlichen Chemikalien und Abfällen vor und rät, über gesetzgeberische Maßnahmen dazu beizutragen, dass lokal problematische Pestizide aus der landwirtschaftlichen Nutzung beseitigt werden. Als weitere Maßnahmen bezüglich der Pestizide nennt der Bericht die Durchsetzung von Gesetzgebung zur Regulierung des Verkaufs von Pestiziden, die Beschränkung des Zuganges zu Pestiziden durch verbesserte Lagerung und Entsorgung und die Reduktion der Giftigkeit von Pestiziden.

Bemerkenswert ist, dass der Bericht keinen konkreten Bezug zur internationalen Pestizidpolitik herstellt, obwohl die Notwendigkeit multisektoraler Ansätze betont wird. So befasst sich das Joint Meeting on Pesticides Management (JMPM), ein gemeinsames Expertengremium der UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation, seit Jahren mit einem von der FAO angeratenen schrittweisen Verbot hochgefährlicher Pestizide ("progressive ban of highly hazardous pesticides"), wobei Suizide bisher nicht explizit auf der Tagesordnung gestanden haben. Hier wäre ein Querverweis dringend angeraten gewesen.

(Carina Weber, PAN Germany)


Quellen

(1) WHO (2014): Preventing suicide. A global imperative. Genf. Weltgesundheitsorganisation (2) Gunnell D, Eddleston M, Philipps MR, Konradsen F (2007): The global distribution of fatal pesticide self-poisoning: systematic review. BMC public health, doi: 10.1186/1471-2458-7-357

Zum Weiterlesen:

PAN Germany (2012): Pestizide und Gesundheitsgefahren - Daten und Fakten. Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany). Hamburg

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