jump directly to content.
Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.

Quer Menue

Südtiroler Bürger setzen Volksabstimmung über intensiven Obstbau durch

11.02.2014, PAN Germany Pestizid-Brief 2-2014

Download dieses Artikels

"Vinschgau. Kulturregion in Südtirol" - mit diesem Slogan wirbt eine über 10 Jahrhunderte entwickelte Kulturlandschaft in Nord-Italien. Als längstes Tal der Alpen in Ost-West Richtung beheimatet die Region vor herrlicher Bergkulisse weitflächigen Obstanbau. Dieser Obstanbau hat infolge seiner Intensivierung mit steigendem Pestizid-Einsatz erhebliche Konflikte ausgelöst. Nun soll eine Volksabstimmung der Ausweitung intensiv betriebener Obst-Monokulturen Einhalt gebieten.

Seit Jahren beobachtet die Umweltschutzgruppe Vinschgau mit Sorge, wie sich der intensive Obstanbau im oberen Vinschgau ausdehnt und dadurch Bio-Betriebe gefährdet, Acker- und Viehbauern bedrängt und die Kulturlandschaft zum Nachteil der Region verändert. Zwei Bio-Betriebe mussten bereits schließen, andere sind in ihrer Existenz gefährdet. Bio-Bauern mit Viehbestand konnten Heu nicht mehr verwenden, weil Pestizide aufgrund der extremen Windverhältnisse leicht verwehen und auf umliegenden Feldern landen.

Eine im Auftrag der Umweltschutzgruppe Vinschgau untersuchte Heuprobe ergab Rückstände von neun Wirkstoffen in relevanten Konzentrationen, darunter Dithiocarbamate, Dithianon, Chlorpyrifos, Fluazinam, Imidacloprid und Penconazol. Die Probe war in unmittelbarer Nähe der Grundschule Tartsch genommen worden. Der analytische Befund wurde den Toxikologen Prof. Irene Witte von der Universität Oldenburg und Prof. Hermann Kruse von der Universität Kiel zur Bewertung vorgelegt. Prof. Kruse gab angesichts der Analyseergebnisse zu bedenken, dass die Pestizide durch Abdrift Schüler und Lehrer über die Haut und die Atemwege belasten können. Zum Gefahrenpotential der identifizierten Pestizid-Wirkstoffe bemerkte Prof. Kruse, dass insbesondere die reizenden und sensibilisierenden Wirkungen von Dithianon und Fluazinam von besonderer Bedeutung sind, wenn sie über Aerosole auf die Haut der Betroffenen gelangen. Relevant sind laut Kruse zudem die neurotoxischen Effekte von Chlorpyrifos (z.B. vermehrter Kopfschmerz, Sehstörungen, rasche Ermüdung, Konzentrationsschwäche) und Penconazol (Ermüdungserscheinungen). Prof. Kruse wies auch auf die embryotoxische Wirkung von Dithiocarbamaten, Chlorpyrifos und Imidacloprid hin. Prof. Witte betonte besonders die Kombinationswirkungen von Kupfer und Dithiocarbamaten - beide Substanzen wurden in der Heuprobe nachgewiesen. (1)

Die örtlich zuständigen Politiker stützen die bisherige Agrarentwicklung und argumentieren, dass unnötig Ängste geschürt, die Bevölkerung verunsichert und Unwahrheiten verbreitet würden. Die Menschen vor Ort erkennen die Argumente der Politiker jedoch zunehmen weniger an. Um einen validen Eindruck darüber zu gewinnen, wie die Bevölkerung der Region den Entwicklungen im Obstbau gegenüber eingestellt ist, führte das Institut für Sozialforschung und Demoskopie apollis im Auftrag der Umweltschutzgruppe Vinschgau 2012 in der Gemeinde Mals eine repräsentative Umfrage durch. Ergebnis der Umfrage war, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung sich gegen den intensiven Obstbau und für das Verbot gefährlicher Spritzmittel aussprach (2).

Angesichts der durch die Erhebung dokumentierten Willensbekundung aus der Bevölkerung gegen die zunehmende Ausbreitung des chemieintensiven Obstanbaus organisierte die Umweltschutzgruppe Vinschgau die Bildung eines Promotorenkomitees für eine Volksabstimmung. Parallel zu dieser Initiative der Umweltschutzgruppe gegen den chemieintensiven Obstbau setzten sich VertreterInnen der Initiative für mehr Demokratie für eine Verbesserung der Mitbestimmungsrechte in der Gemeinde Mals ein. Dem Synergieeffekt dieser beiden Initiativen ist es zu verdanken, dass jetzt eine verbindliche Volksabstimmung (bei einem Quorum von 20%) abgehalten werden kann.

Parallel zu ihrem Eintreten für eine Volksabstimmung implementierte die Umweltschutzgruppe Vinschgau eine ganze Reihe von Maßnahmen wie etwa die bereits erwähnte Pestizid-Rückstandsanalyse von Heu, Fachrecherchen, Vorträge und Pressearbeit. Die Vielfalt, Intensität und fachliche Fundierung der Aktivitäten führte dazu, dass die Debatten um die Gestaltung der Kulturlandschaft und die landwirtschaftlichen Produktionsweisen zunehmend öffentlich und unter Beteiligung verschiedenster Stakeholder ausgetragen wurden und eine lokale Bürgerinitiative entstand. Inzwischen hat sich die Diskussion auf ganz Südtirol ausgedehnt. Die Diskussion über die negativen Folgen des intensiven Pestizideinsatzes wurde zunehmend enttabuisiert.

Nachdem der zweite Antrag auf eine Volksabstimmung nun genehmigt wurde, wird mit Spannung das Ergebnis der Volksabstimmung erwartet. Wann genau die Volksabstimmung 2014 erfolgen wird, ist noch festzulegen. Es stehen mehrere Wahlen an, die für die Volksabstimmung genutzt werden können.

Die Abstimmungsfrage lautet:
"Sind Sie dafür, dass in der Satzung der Gemeinde Mals folgender Artikel eingeführt wird?
Das Vorsorgeprinzip zum Schutz der Gesundheit besagt, dass sämtlich Maßnahmen getroffen werden, die eine Gefährdung der Gesundheit von Mensch und Tier vermeiden helfen. Als besondere Zielsetzung der Gemeinde Mals wird deshalb der vorsorgliche Schutz der Gesundheit von Gemeindebürgern und Gästen, ein nachhaltiger Umgang mit Natur und Gewässern, sowie gleichberechtigte, unbeschadete Ausübung verschiedener Wirtschaftsformen auf dem Gemeindegebiet verfolgt. Um dies zu gewährleisten, wird auf dem Malser Gemeindegebiet der Einsatz biologisch abbaubarer Pflanzenschutzmittel gefördert. Mit nachfolgender Verordnung wird diese Bestimmung im Detail umgesetzt. Unabhängig von dieser ist der Einsatz sehr giftiger, giftiger, gesundheitsschädlicher und umweltschädlicher chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel und Herbizide auf dem Gemeindegebiet nicht zugelassen. Für die Umsetzung und Einhaltung des Volksentscheides sorgt die Gemeindeverwaltung."

Kontakt:

Eva Prantl, Vorsitzende Umweltschutzgruppe Vinschgau, E-Mail: prantl.eva(at)gmail.com

(Carina Weber, PAN Germany)

Quellen

(1) Informationen und Auskünfte von Eva Prantl, Vorsitzende der Umweltschutzgruppe Vinschgau
(2) apollis (2012): Folgen des zunehmenden Obstanbaus aus der Sicht der Bevölkerung - Methoden- und Tabellenband zu einer empirischen Untersuchung, Bozen (interne Projektnummer: 644)

© 2018 PAN Germany Seitenanfang PAN Germany, validieren