31.08.2012, Carina Weber
In einer Studie mit dem Titel "Pestizide und Gesundheitsgefahren - Daten und Fakten"1 betrachtet PAN Germany die aktuelle Daten- und Faktenlage über das Problem der Gesundheitsgefahren durch Pestizide und bezieht in die Betrachtung auch die Suizide unter Verwendung von Pestiziden ein. Das zentrale Ergebnis der Studie lautet, dass in großem Ausmaß Pestizidvergiftungen stattfinden und dass die Datenlage dringend aktiv verbessert werden muss, damit bei begrenzten Ressourcen für Problemlösungen Prioritäten gesetzt werden können.
Die Studie beantwortet auf der Grundlage der aktuell vorliegenden Fakten und Daten folgende Fragen:
Weltweit hat die Menge der jährlich eingesetzten chemisch-synthetischen Pestizide seit den 40er Jahren zugenommen. Daraus ergeben sich für den Menschen erhebliche Gesundheitsgefahren. Durch Rückstände in der Umwelt sind mittlerweile vermutlich alle Bevölkerungsgruppen einer Pestizid-Belastung und somit insbesondere einer Gefahr für chronische Erkrankungen ausgesetzt. In besonders hohem Maße sind in der Landwirtschaft Beschäftigte gefährdet, die bei ihrer Arbeit direkt mit Pestiziden in Kontakt kommen und häufig unter akuten sowie auch chronischen Vergiftungserscheinungen leiden. In Entwicklungsländern sind außerdem besonders viele hochgefährliche Pestizide leicht verfügbar, die in der Landwirtschaft - häufig sogar ohne geeignete Schutzkleidung - verwendet werden und deren Einnahme durch die leichte Zugänglichkeit eine häufige Suizidmethode darstellt.
Viele Krankenhausstatistiken zeigen einen hohen Anteil an Selbsttötungen unter den schweren akuten Pestizid-bedingten Vergiftungen - besonders in Asien. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt die Pestizid-Suizide und Suizidversuche auf jährlich zwei Millionen Fälle. Allerdings berücksichtigen diese Statistiken nicht, dass Fälle nicht-suizidaler Pestizid-Vergiftungen landwirtschaftlicher Arbeiter besonders in Entwicklungsländern meist mangelhaft dokumentiert sind. Vergiftungen mit milderen, relativ schnell abklingenden Symptomen werden häufig nicht registriert und vermutlich unterschätzt. Die WHO ging 1990 von jährlich einer Million schweren unbeabsichtigten Pestizid-Vergiftungen aus.
Bemerkenswert ist eine andere, wesentlich höhere Schätzung der WHO aus dem Jahr 1990, die in der Fachliteratur kaum zitiert wird. Diese geht von jährlich mindestens 25 Millionen unbeabsichtigten Vergiftungen aus - allein unter den landwirtschaftlichen Arbeitern in Entwicklungsländern - mit Vergiftungsraten von durchschnittlich 3%.2
Da sowohl die Pestizid-Absatzmengen gestiegen sind, als auch die Vergiftungsraten einzelner Regionen wesentlich höher als 3% liegen, ist davon auszugehen, dass auch die Fälle von unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen höher liegen bzw. zugenommen haben. Die zuvor genannten Schätzungen können demnach zu Recht als veraltet bezeichnet werden. Eine aktuelle Schätzung von PAN International geht von derzeit 41 Millionen Vergiftungsfällen unter allen landwirtschaftlichen Arbeitern (1,3 Milliarden) pro Jahr aus, mit Vergiftungsraten von durchschnittlich 32%. 3, 4Zu chronischen Vergiftungserkrankungen durch Pestizid-Anwendungen oder durch Rückstände in Nahrungsmitteln existieren kaum Statistiken. Die zunehmende Zahl der Krebserkrankungen, hormonellen Effekte und neurologischen Störungen wie der Parkinson-Krankheit werden allerdings zweifelsfrei in einen Zusammenhang mit dem Einsatz mancher Pestizide in der Landwirtschaft gebracht.
Auch wenn eine Vielzahl von Studien und Daten zu Pestizid-Vergiftungen verfügbar ist, kann kein klares Gesamtbild über das globale Ausmaß der Vergiftungen erstellt werden. Statistiken sind vermutlich meist unvollständig, denn Meldesysteme existieren vielerorts nicht oder funktionieren mangelhaft - auch in Deutschland.
Zusätzlich sind Bezeichnungen für Pestizide und Vergiftungserscheinungen uneinheitlich, sodass eine Zusammenführung der existierenden Statistiken schwierig ist. Trotz dieser Mängel bei der Erfassung von Pestizid-Vergiftungen wird aus den vorliegenden Daten bisheriger Forschung deutlich, dass die Folgen des Umgangs mit Pestiziden ein bedeutendes globales Gesundheitsproblem darstellen, das in Entwicklungsländern besonders gravierend ist.
Aus diesen Überlegungen formuliert PAN Germany folgenden Handlungsbedarf:
Dem global bedeutsamen Problem der Pestizid-Vergiftungen kann nur begegnet werden, wenn die Art und das Ausmaß (z.B. Anzahl, geografische Verteilung, häufig betroffene Personengruppen) der Vergiftungserscheinungen durch Pestizide genau erfasst werden. Dies geschieht bisher nur ungenügend.
Die folgenden drei zentralen Maßnahmen sollten dringend in die Praxis umgesetzt werden:
Generell ist die Abkehr von hochgefährlichen Pestiziden unabdingbar; sie sollten schrittweise aus der Anwendung und vom Markt genommen werden.
Seit Anfang der 1980er Jahre wurde in zahlreichen Programmen versucht, hochgefährliche Pestizide "sicher" einzusetzen (z.B. durch Ausbildung im sicheren Umgang), allerdings ohne Erfolg. Den Einsatz dieser Pestizide generell zu beenden erscheint deshalb als die einzig effektive Strategie, um die Gesundheitsgefahren durch Pestizide zu reduzieren.5
Zusätzlich ist eine Verbesserung von Methoden für die Erforschung der Gesundheitsgefahren, die von Pestiziden ausgehen, unumgänglich. Epidemiologische Studien geben Hinweise, dass viele zugelassene Pestizide Gesundheitsgefahren bergen. Sie sollten Anlass geben, im Sinne des Vorsorgeprinzips internationale und nationale Gesetzgebungen zu verbessern und auch die Tests für die Zulassung von Pestizid-Produkten sowie die Kontrolle und Überwachung der Pestizid-Anwendung zu verbessern.
1 Die Studie steht zum Download bereit unter: http://www.pan-germany.org/download/ Vergift_DE-110612_F. pdf 2 J. Jeyaratnam (1990): Acute pesticide poisoning: a major global health problem, World health statistics quaterly 43(3), 139-44 3 PAN international (2007): A position on synthetic pesticide elimination 4 Meriel Watts, persönliche Mitteilung vom 14.2.2012 5 PAN Germany (2011): Pestizid-Vergiftungen stoppen! Eine neue Pestizid-Politik ist nötig nach Jahren des Versagens, Hamburg
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