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Biozid-Verordnung: Vorschläge mangelhaft

28.02.2011, PAN Germany, Christian Schweer

Aus: PAN Germany PestizidBrief Januar/Februar 2011

Am 20.12.2011 einigten sich die EU-Umweltminister auf Vorschläge für die Biozid-Verordnung. PAN Germany und weitere Umweltverbände bemängeln, dass der Umweltrat das neue Zulassungssystem für Biozide auf Kosten des Umwelt- und Gesundheitsschutzes vereinfachen will.

Die erste Lesung zur neuen EU-Biozid-Verordnung steht vor dem Abschluss. Nachdem das EU-Parlament (EP) am 22.9.2010 seine Position zum Kommissionsentwurf annahm, einigte sich der Umweltrat am 20.12.2010 auf seine Änderungsvorschläge für den Gesetzestext. Die Position der Umweltminister wird voraussichtlich im Juni 2011 formal verabschiedet und auch die Erwägungsgrundsätze betreffen. Da die Minister bei vielen Vorgaben eine andere Meinung als die Europaabgeordneten vertreten, wird eine zweite Lesung zur Verordnung erforderlich. Aus Sicht von PAN Germany ist eine weitere Beratung auch tatsächlich erforderlich, wie die folgenden Mängel in den Regelungsvorschlägen des Umweltrates zeigen:

Hochbedenkliche Biozide sind erlaubt

Zwar bestätigt der Umweltrat, dass Wirkstoffe, die in Biozidprodukten zum Einsatz kommen sollen, zunächst eine Genehmigung für die Aufnahme in eine EU-weit geltende Positivliste erhalten müssen. Allerdings wollen die Umweltminister nun einige problematische Änderungen vornehmen: Die Kriterien für die Aufnahme sollen nicht mehr verbindlich sein. Ein Wirkstoff kann bereits in die Liste aufgenommen werden, wenn möglicherweise zu erwarten ist, dass die Bedingungen der Aufnahme erfüllt werden. Hochgefährliche Wirkstoffe wie krebserregende, endokrin (hormonell) wirksame oder langlebige, sich im Körper anreichernde und gleichzeitig giftige (PBT) Biozide werden nicht vom Markt fern gehalten (cut-off), selbst wenn es verträgliche und bewährte Alternativen für diese Gifte gibt. Die Umweltminister lehnen auch ab, Wirkstoffe, die für die Entwicklung des kindlichen Immun- und Nervensystems schädlich sind, einer Ersatzpflicht zu unterwerfen. Sie unterstützen ein verkürztes und beschleunigtes Zulassungsverfahren für bestimmte Wirkstoffe, die Allergien auslösen können oder Fische oder Wale ernsthaft vergiften können.

Auch der Umgang mit Nano-Bioziden ist unzureichend geregelt. Zwar soll für sie eine besondere Risikobewertung erfolgen, es fehlen jedoch Vorgaben für die Gestaltung der Bewertungsmethoden sowie der Zeitplan und das Arbeitsprogramm für ihre Einführung.

Zulassung wird vereinfacht

Der Umweltrat setzt sich dafür ein, dass die nationalen Behörden nicht mehr allein über die Zulassung von Biozidprodukten bestimmen. Die Hersteller von Biozidprodukten können in Zukunft auswählen, wer über die Prüfung und Zulassung ihres Produktes entscheidet. Und wenn sie wollen, können sie eine EU-weite Vermarktung beantragen oder eine vereinfachte oder parallele Zulassung für ihr Produkt beantragen. Die Vielzahl an Möglichkeiten macht das Zulassungsregime nicht einfacher und ist mit Einschränkungen für die nationalen Zulassungsbehörden verbunden - insbesondere dann, wenn es um die Umsetzung strikterer Schutzstandards geht. Zum Beispiel wird es bei einer EU-Zulassung ab dem Jahr 2020 möglich sein, dass Insektenmittel mit besonders schädlichen Nervengiften oder ein antibakterielles Reinigungsmittel, das möglicherweise problematische Krankheitserreger resistent gegen Antibiotika macht, eine EU-weite Zulassung erhalten. Diese Zulassung wäre auch wirksam für Deutschland. Die deutschen Zulassungsbehörden können eine Vermarktung der Produkte auch dann nicht verweigern oder beschränken, wenn das Biozid eine ernsthafte Gefahr für die Bevölkerung oder regionale Ökosysteme und Tierarten bedeutet. Nur die EU kann darüber bestimmen.

Die Kriterien für die Zulassung von Biozidprodukten sind in sich widersprüchlich, so dass Menschen und die Umwelt vor Biozid-Risiken nicht ausreichend geschützt werden. Zwar will der Umweltrat die Verfügbarkeit von nicht-chemischen Alternativen bei bestimmten Produkten prüfen sowie die Risiken durch Kombinationswirkungen von Bioziden und für Kinder bei der Zulassung bewerten lassen. Allerdings führen die Umweltminister eine unklare Ausnahmeklausel ein, die es ermöglicht, dass bedenkliche Produkte vermarktet werden können. Das können zum Beispiel Biozide sein, die natürliche Trinkwasserquellen irreversibel verunreinigen oder die Gesundheit von Kindern schädigen. Die Qualitätsanforderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie und des Meeresschutzes müssen ohnehin nicht vollständig berücksichtigt werden, wenn die zuständigen Behörden ein Produkt bewerten müssen. Zudem fehlt die Vorgabe, dass Substitutionspläne zu erstellen sind, wenn es an unbedenklichen Alternativen zu problematischen Produkten mangelt.

Unnötiger Einsatz bleibt möglich

Der Umweltrat hat es mit seinen Regelungsvorschlägen versäumt, die nachhaltige Verwendung von Bioziden sicher zu stellen. Im Wesentlichen werden die vagen Bestimmungen aus dem derzeitigen Biozidrecht übernommen. Diese haben aber bisher nicht dazu beitragen können, dass Schädlingsbekämpfer überall in Europa qualifiziert genug sind, um Biozide nur als letztes Mittel und sicher zu verwenden. Außerdem fehlen Vorgaben für den Umgang mit Bioziden in geschützten Gebieten. Für die Umsetzung eines integrierten Schädlingsmanagements bietet der Entwurf des Rates auch keine Vorschläge. Vorsorgemaßnahmen oder Alternativen ohne Chemie werden durch die geplante Verordnung nicht wirksam unterstützt. Es wird lediglich vorgegeben, dass die Verbraucher über die Risiken und Nutzen von Bioziden aufgeklärt werden, so dass sie den Einsatz von Bioziden minimieren können. Wegen fehlender Detailregelungen (z.B. fehlende Berichtspflichten zur Umsetzung) werden aber wohl auch diese Neuerungen ins Leere laufen. Die Umweltminister wollen noch nicht einmal vorgeben, dass die Verbraucher über alle (legal) auf dem Markt befindlichen Biozidprodukte informiert werden.

Alternativen dringend benötigt

Für die zweite Lesung zur Biozid-Verordnung, die vorausichtlich im September 2011 beginnt, ist erforderlich, dass der Umweltrat seine Position korrigiert. Das Europäische Parlament hat einige gute Anregungen für Korrekturen gegeben, um Menschen und die Umwelt vor Biozid-Risiken zu schützen. Insbesondere sind folgende Änderungen aufzunehmen:

  1. Die Verordnung muss im Artikel 1, in dem es um ihren Zweck geht, aufführen, dass die Regelungen Menschen und Umwelt vor den Biozid-Risiken schützen sollen.
  2. Cut-off Biozide sollten vom Markt fern gehalten werden. Ausnahmen dürfen nur ausnahmsweise zugelassen werden. In all diesen Fällen ist die Anwendung auf das betroffene Gebiet zu begrenzen und es sind Substitutionspläne zu erstellen, damit in Zukunft auf diese Biozide verzichtet werden kann.
  3. Es müssen EU-weit verbindliche Maßnahmen eingeführt werden, um nicht-chemische Vorsorgemaßnahmen und Alternativen zu fördern. Zumindest müssen die Vorgaben aus der Richtlinie für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden übernommen werden und spätestens im Jahr 2013 gültig sein.
  4. Die nationalen Zulassungsbehörden müssen weiterhin das Recht haben, Biozidprodukte zu verbieten oder ihre Verwendung zu beschränken, wenn sie ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung und für die Umwelt darstellen.

(Christian Schweer)

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