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EP-Umweltausschuss zur Biozid-Verordnung: Nachbesserung mit Mängeln

30.09.2010, PAN Germany, Christian Schweer

Aus: PAN Germany Pestizid-Brief Juli / August 2010

Am 22. Juni 2010 entschied der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments über seine Position zum Kommissionsentwurf einer Biozid-Verordnung. Die Abgeordneten stimmten in erster Lesung und mit deutlicher Mehrheit für wichtige Nachbesserungen. Allerdings bemängelt PAN Germany, dass das Votum zugleich viele Widersprüche und Mängel offenbart. Sollen die positiven Änderungsvorschläge für den Umwelt- und Gesundheitsschutz greifen, sind dringend weitere Korrekturen an dem Entwurf vorzunehmen.

Die Abstimmung im federführenden Umweltausschuss war von vornherein einer besonderen Belastungsprobe unterstellt, weil die Abgeordneten über mehr als 600 zumeist technische und vielfach gegensätzliche Änderungsvorschläge zum Kommissionsentwurf befinden mussten. Für die Beratung wurden auch Anträge und Empfehlungen der mit beratenden Ausschüsse für Industrie, Rechtsfragen und Verbraucherschutz berücksichtigt.

Umweltkriterien

PAN Germany erkennt das Bemühen des Umweltausschusses an, das neu geplante Biozid-Zulassungssystem zugunsten des Gesundheits- und Umweltschutzes nachzubessern. So stärkt ein fraktionsübergreifender Antrag die Regeln für den Ausschluss hochgefährlicher Biozide (Cut-off Regime). Dieser Vorschlag sieht unter anderem vor, dass auch Substanzen mit Umwelt-relevanten Eigenschaften - wie persistente, in der Natur sich anreichernde und giftige Wirkstoffe (PBT) oder langlebige organische Schadstoffe (POP) - von der Markt-Zulassung grundsätzlich ausgeschlossen werden. Ausnahmen von diesem Prinzip werden weiter eingegrenzt, indem Antragssteller zum Beispiel Nachweise vorlegen müssen, warum sie den Einsatz besonders gefährlicher Biozide weiterhin für erforderlich halten. Außerdem sind in diesem Fall Ausstiegspläne zu erstellen, die zur Beendigung von Produktion und Vermarktung relevanter Wirkstoffe führen und die gleichzeitig zur Einführung verträglicher Alternativen des Schädlingsmanagements beitragen.

Auch der Ersatz von anderen bedenklichen Stoffen, die etwa giftig sind, soll mit Hilfe von Substitutionsplänen gefördert werden. Zu begrüßen ist ferner der Vorschlag, dass an Produkte mit geringem Risikopotenzial ähnliche Bedingungen gestellt werden, wie sie aus dem gültigen Biozidrecht bekannt sind.

Darüber hinaus setzt sich der Umweltausschuss für EU-weit verbindliche Maßnahmen zur nachhaltigen Anwendung von Bioziden ein. Dieser Ansatz ist bereits aus dem Pestizidsektor bekannt, wo eine EU-Richtlinie Mindeststandards für die Qualifizierung von gewerblichen Anwendern und Verkäufern von Pestizid-Produkten setzt. Zudem soll der Verbraucherschutz dadurch gestärkt werden, dass Produkte mit hormonell wirksamen Substanzen oder mit schädlichen Auswirkungen für die Entwicklung des Nerven- und Immunsystems nicht mehr frei verkäuflich sein dürfen. Für den Schutz empfindlicher Gruppen wie Kinder, Schwangere oder Ältere ist die Produktkennzeichnung zu verbessern.

Im Hinblick auf die Überprüfung von Daten sollen nun auch die Kombinationswirkungen von freigesetzten Stoff-Gemischen ("Chemikalien-Cocktails") berücksichtigt werden und die Risiken von Nano-Bioziden sind erstmalig durch spezielle Bewertungsverfahren zu bestimmen. Zusätzlich hilfreich dürfte der Vorschlag sein, die Auswirkungen des Biozid-Einsatzes auf empfindliche Gruppen und die Umwelt zu erfassen.

Kein Schutz vor Bioziden

PAN Germany gibt aber zu bedenken, dass diese wichtigen Vorschläge nicht automatisch zu einem besseren Gesundheits- und Umweltschutz beitragen werden. Der Umweltausschuss hat sich dadurch um seine verdienstvolle Arbeit gebracht, indem er zugleich mehrere Änderungsanträge annahm, die den positiven Anträgen entgegenwirken oder diese zumindest in Frage stellen.

Bereits in der Zweckbestimmung der Biozid-Verordnung wird es offen gelassen, ob Verbraucher und Umwelt vor den Gefahren des Biozid-Einsatzes geschützt werden sollen. Ein "echtes" Vorsorgeprinzip, wie es aus dem europäischen Chemikalienrecht (z.B. REACH oder der Pestizid-Zulassungs-Verordnung) bekannt ist, fehlt dem Gesetzestext. Dieser Mangel dürfte insbesondere dann ein Problem sein, wenn die Risiken von Bioziden nicht hinreichend bekannt sind. Und dieser Fall dürfte nicht selten sein, denn trotz der vorgeschlagenen positiven Neuerungen bei den Prüfkriterien für die Stoffbewertung (z.B. Berücksichtigung von Kombinationswirkungen, Gewässerschutz) sollen die Datenanforderungen nicht entsprechend ergänzt werden. Vielmehr werden weitere Abschwächungen im Vergleich zu dem ohnehin unzureichenden Kommissionsentwurf favorisiert: Aus vermeintlichen Tierschutzgründen soll zukünftig davon abgesehen werden, dass genügend Informationen über die akute Giftigkeit eines Biozidproduktes oder seine Gefährlichkeit für die Ökosysteme vorgelegt werden müssen.

Die Datenanforderungen, die für die Bewertung von Wirkstoffen gelten, sollen zumal nur für ein Produkt erfasst und erfüllt werden, ohne dass für die Produkt-Auswahl Kriterien berücksichtigt werden müssen. Bestimmte Wirkstoffe können zum Beispiel in mehr als 100 verschiedenen Produkten mit jeweils unterschiedlicher Stoff-Zusammensetzung vorkommen und der Verbraucher ist je nach Verbreitung oder Einsatz-Häufigkeit eines bestimmten Biozid-Produktes einer mehr oder weniger hohen Exposition ausgesetzt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Überprüfung von Zulassungsanträgen von 9 auf 3 Monaten gekürzt werden soll, so dass eine sorgfältige Bewertung dieser Anträge nicht möglich sein dürfte.

Gefährliche Biozide erlaubt

Dieser Mangel hat auch Nachteile für die Wirksamkeit des Cut-off Regimes, weil ohne eine ausreichende Datenlage nicht ermittelt werden kann, welche Stoffe besonders gefährlich sind und daher von dem Markt fern gehalten werden müssen. Die Abgeordneten habe es auch aus anderen Gründen versäumt, einen konsequenten Ausschluss von Wirkstoffen sicher zu stellen. Krebserzeugende Wirkstoffe oder Nano-Biozide, die noch immer nicht hinreichend auf ihre Gefährlichkeit geprüft sind, können weiter vermarktet werden. Die Ausnahmenklauseln zum Cut-off-Regime berücksichtigen weder die Unfall-Risiken, noch schreiben sie ein geeignetes System zur Überwachung von möglichen Gesundheits- und Umweltgefahren vor oder begrenzen die Anwendung sämtlicher hochgefährlichen Stoffe auf gut qualifizierte Anwender.

In Bezug auf die Regelungen für das Substitutionsprinzip bleibt es angesichts der widersprüchlichen Abstimmungsergebnisse unsicher, ob alle bedenklichen Wirkstoffe ersetzt werden und als Alternativen auch nicht-chemische Optionen gefördert werden. Ein weiteres Problem sind die Vorschläge für Biozid-behandelte Erzeugnisse wie zum Beispiel für entsprechend ausgerüstete Teppiche, Kosmetikartikel oder Textilien. Der Umweltausschuss hat mit seinem Votum den Kommissionsentwurf deutlich abgeschwächt, indem er die Kennzeichnungsvorschriften an schwierig umzusetzende Bedingungen knüpft (z.B. direkter Kontakt erforderlich, Relevanz des Wirkstoffs) und zugleich ein Nebeneinander bisheriger, zum Teil unzureichender Produktkennzeichnungs-Standards belässt. Obwohl eine ausreichende Kennzeichnung auf der Verpackung und an weiteren relevanten Stellen (z.B. Produkt, Garantie-Erklärung) gerade für empfindliche Personengruppen dringend erforderlich wäre, hat der Umweltausschuss entsprechende Anträge abgelehnt.

Angesichts der genannten Mängel sieht PAN Germany den Vorschlag des Umweltausschusses skeptisch, eine EU-weite Zulassung grundsätzlich aller Biozid-Produkte einzuführen. Sollte eine zentrale Zulassung von bedenklichen Produkten versagt werden, können diese gegebenenfalls über die so genannte gegenseitige parallele Anerkennung (d.h. gleichzeitige Anerkennung einer nationalen Zulassung in einem oder mehreren anderen Mitgliedsstaaten) Zugang zum lukrativen Binnenmarkt erhalten. Für die Mitgliedsstaaten gibt es zwar die Möglichkeit, die Zulassung von gefährlichen Produkten auf ihrem Hoheitsgebiet zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger oder der Umwelt abzulehnen. Jedoch stellt sich die Frage, ob die nationalen Behörden von ihrem Recht rechtzeitig Gebrauch machen können, wenn die Fristen des Verfahrens sehr eng gesteckt sind.

PAN Germany sieht es daher als dringlich an, dass für die nun anstehende Abstimmung im Europäischen Parlament (voraussichtlich Anfang September 2010) die aufgezeigten Defizite behoben werden. Das Zulassungssystem muss den Standards des europäischen Chemikalien- und Umweltrechts entsprechen. Insbesondere sind die Verbraucher und die Umwelt vor den Gefahren des Einsatzes von Bioziden zu schützen. Dafür muss die Zielbestimmung der Verordnung neu justiert werden. Zudem müssen die Datenanforderungen, das Substitutionsprinzip und die Kennzeichnungsbestimmungen für Biozid-behandelte Produkte konkreter und an Schutzbelangen orientiert verbessert werden.

(Christian Schweer)

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